Die Farbe Weiss
I
- In dem Blick des Kindes
- blitzt eine Quelle auf
- sein Fahrradfahren wie ein Wasserlauf
- neben mir mein Netz
- löchrig
- weiss
- ich will es neu verknoten
- festeres Garn verwenden
- es auswerfen
- in diese Quelle
- Sprache fangen
- für alles, was stumm
- stumpf
- vergessen ist
- die Zeit tropft längst
II
- Ein Schmetterling
- zittrig weisses Band
- es wird zu Tau
- zu festem Tuch
- weiss halte ich es hoch
- gehe mit Menschen
- höre die Rufe nach Erfindern gegen Kriege
- das Tuch weiss
- in den Händen
- in der Sprache
- gehe mit
- höre Rufe
- weiss in der Sprache
- und ein Flügelschlag
- der alles verändert
III
- Was nützt
- ein Netz frischgeknüpft
- was
- ein weisses Tuch
- in Kriegszeiten
- was
- das Wissen der Alten
- Geschichten vom Frieden
- im Krieg
- ich ziehe an Land verschlammte Sprache
- mit Bürste und Tuch reinige ich sie
- weiss
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fluide & zaghaft
- nimm mir eine grenze
- versenke sie
- tauche ein in das wasser
- finde:
- flussmäander
- fluten | ebben
- fluide & zaghaft
-
ein wir
- vielleicht
- dass es möglich ist
- sich_artenübergreifend
- die hände zu reichen
- oder andere formen
- von flossen | extremitäten
- vielleicht
- weniger brückenpfeiler
-
sondern waten im schlamm
- ich kann
- wenn die dürre kommt
- ganz hinübergehen
- treffen wir uns
- bei den buhnen
- vielleicht
- dass es möglich ist
- eine schuld abzutragen
- wie der fluss_sedimente
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Drehungen
- Flügel bäumen sich auf
-
im Wind, drücken Schatten
- in die Fugen der Scheunen.
-
Leere Schneckenhäuser
- in Hecken verfangen, so
-
oder so, bleiben sie hängen
- im Traum der Stare und
-
Drosseln. Ein Wanderfalke
- zieht seinen Sturzflug
-
zurück, segelt weiter.
- Die Ruhe ist umstellt.
-
Eichen ergeben sich.
- Durch die Adern der
- Ahnen schießt Strom.
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schweissfüsse sind gar nicht so schlimm wie alle immer denken
- auf der mauer sitzt mein po
- die haut reibt am stein ameisen bilden
- eine strasse vor mir ein
- bier halbleer und der mond scheint
- hell in mein handy tippe ich
- zeilen wie unsere zigaretten löcher
- in unsere herzen brannten obwohl
- der aschenbecher immer mit dabei
- war ameisenstrasse die wade
- hinab in meine adiletten wo
- bereits ein film zu tropfen beginnt und
- hinter meinen augen der abspann
- schon lange im loop flimmert die
- strassenlaterne auf mich herab meine
- schweissigen füsse oder einfach
- tränen aus vergangenen sommern
- für immer festgehalten in
- der sohle und eigentlich sind
- schweissfüsse gar nicht so
- schlimm wie alle immer denken
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außerferner
- noch von übersee
- gesprochen rollen wir
-
auf flussbettlaken
- retour a reutte, hat sie gesagt:
- die landschaft wird
-
im höchsten grade unbewußt
- was der moosbruch
- schreibt, nicht ewigkeits-
-
verdächtig archivalisieren
- statt es ins zugehörige
- versenken: an blinkendem
- geröll vergehen, sich
- landvermessen
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Ernte, zeitgemäß
- Kalter, blauer Morgen
- in den Schützengräben
- dampft der Kaffee
- auf dem Hügel
- patrouillieren die Tschekas
- die Städte liegen da wie
-
ranziges Brot
- Schneegriesel aus dem Osten
- oder sind‘s Granaten
- wir kennen 50 Wörter für
-
Sieg
- Hoch die Hände
- die Säcke sind eng
- die Köpfe bleiben liegen
- wie Kohl im Dezember
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[ ]
- Im unheimlichen Tal
- Plötzlich geschrumpft
- Alice antwortet nicht
- Spalt – beachtet
- Saugt mich zum Sturz
- Träume nicht mehr
- Bin verzerrt
- Fenster gehen auf
- Ihr Öffnen spricht gesperrt
- Wissen fliegt vorbei
- Dabei rollt mein Aug zum Blick
- Nicht ehrlich sagt Endfantast
- Steht wieder auf – vergangen
- Im heimlichen Heute
- Die Meinung eine Flut
- Ebbemix beim Feuer
- Nulltage – vermutet wird
- Verwundbarkeit
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tanzen (2023)
- auf ungeschliffenem marmor
- die internazionale tanzen
- für die streikenden florentiner in ihrer fabrik
- bis alte verwachsene böden zittern
- roter sandstein von der fassade blättert
- die nubische sklavin vom sockel stürzt
- und das richtergewand über ihre nackten brüste legt
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grabbeben
- verhauche meinen atem, stockend
- wie hochhaustief rief mich eine seele an,
-
teilnehmer nicht erreichbar.
- leere stühle hinter deiner stirn
- kinoschlüssel fallen inzwischen rillen
- sich deine gedanken und stehen auf,
- applaudieren vielleicht
-
weil die sonne schreit.
- es ist etwas übrig vom vortag,
- wetterfeste plastik steht auf einem moossockel,
- der park schließt spät,
- unter flügeln schlummern
-
graue grade der lieblosigkeit.
- blumen, hingeworfen,
- achtlos hinterlassener müll keimt,
- der morgen wartet auf deinen zug.
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So früh schon so spät
- Ich rieche den Frühling wieder
- er ist älter geworden
- blasser im Licht
-
mit Stunden ohne Takt
- Seine Wasser säuseln nur noch
- ich kann am Ufer liegen
- Vogelgesänge auf der kribbelnden Haut
-
heimwärts weht linde Erinnerung
- Der Kompost vom letzten Herbst
- wärmt noch die Kröten
- schlafende Erde unter mir
- und Abschied über allem
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Indem wir uns ineinander verliebten
- Für dich gründete ich die Gesellschaft
-
für Himmel, Erde und das schöne grausame Meer
- Dort gingen wir zielgerichtet ein und aus
-
ohne uns jemals zurecht zu finden
- Salzige Erinnerungen an deine mehrmundigen Küsse
-
im Hochgebirge meines Körpers
- Meine Träume von dir verfestigen sich
-
zu Standbildern ohne jede Bedeutung
- Fliegen ersticken seither im Staub
-
meiner Stube
- Und mein Herz wehrt alle Reimversuche ab
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zimmermanndinner
- heizungsritzen schlürft er
- wie jakobsmuscheln aus
- erkrankt an zitternetzen staub &
- stellt in rechnung dann
-
zwei lungenflügel
- bettbezug durst schluckt er
- entschuppt sich wie dorade
- bis dunkler ansatz nass zerkratzt
- in rechnung steht
- verstoß
- motelhygieneregeln
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kurzer halt am straßenrand
- psst behalt’s für dich wenn
- dir die tränen kommen auf der
- gewundenen straße zwischen
- sonnenblumenfeldern bei
- flirrender hitze und chris reas
- still holding on weil du mal wieder
- nicht weißt wohin mit dir
- sentimentaler esel halt an heul dich aus
- auch heute wird deine richtungslose
- dankbarkeit keinen abnehmer finden
- lass die luft aus deinem blauen ballon
- hast du nicht schon im ersten jahr englisch gelernt
- you can‘t have the cake and eat it
- und du kennst das prozedere
- der spielverderber vom dienst wird
- sich pflichtgemäß melden mit seiner
- miesmacherei die alles durchdringt
- dem faktencheck der vor nichts haltmacht
- selbst deine hehren momente hinterfragt
- dass dich die scham befällt mensch zu sein
- und diesen ort nicht so zu hinterlassen
- wie du ihn vorfandst bei deinem auftritt
- zu neandertalers zeiten trauerst
- um die bäume blumen gräser die du
- zertrittst im besten einvernehmen mit dir
- selbst die schmetterlinge hummeln die
- an deiner windschutzscheibe jäh
- ihr leben geben für dein weiterkommen
- oder bemitleidest du dich selbst weil du
- nicht weißt wohin mit deinen füßen unfähig
- engelgleich zu schweben aber das wusstest du doch
- weichei du dass wo gehobelt wird da lass dich
- ruhig nieder denn was nicht passt wird
- passend gemacht und niemand
- hält die späne die da fallen unendlich
- sanft in seinen händen aber haben wir
- nicht laubbläser im angebot buschfräsen
- chemikalien die unsere erträge steigern
- nicht zu vergessen die rücknahmegarantie
- von altgeräten zur fachgerechten entsorgung
- abseits der kreuzfahrerrouten oder dieser
- landstraße wenig befahren geheimtipp
- zwischen weinbergen sonnenblumenfeldern
- und während du noch am straßenrand stehst
- dir die augen reibst tief durchatmest
- bevor du weiterfährst in deinem geliebten
- vierzig jahre zurückgebliebenen lancia hpe
- hat chris rea den ton gewechselt singt
- jetzt sein paradestück the road to hell
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short message ohne service
- mein gefährt ist ungewiss
- blossfüssig auf rasierklingen
- über grenzen, eingeritzt
- ein name blutverkrustet
- mein pass: die wunde, unverbunden
- aufgebrochen
- bin ich du, mein ticket, nicht
- zu entziffern, ein nummernloses konto
- oder ein schwarzer schlagstock
- ist mein drittes standbein
- ausgelutscht und angespuckt: ankomme
- ankomme
- bald
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Träum was Schönes
-
Träum was Schönes. Von sieben silbernen Seilbahnen. Sechs Süchtigen auf der Suche nach Sahnebonbons und siebzig Schafen singend an einem See. Von Seifenblasen, Saftschorlen, Süssigkeiten und frühen Samstagabenden im Sommer.
-
Träum was Schönes. Vielleicht von Veilchen, vielen Vögeln, von Vegetation und veganen Vegtables. Von Vampiren aus Videoaufnahmen. Von Vergessen und Vergeben, von Verlosungen und Verlobungen.
-
Träum was Schönes. Von Hunden und Hexen, von Heidelbeeren und Heu, von Hitzewellen und Himbeereis. Hervorragenden Häusern, Hirsebrei und Heizungen. Himmel, Horrorfilmen und Heimat. Und von Herzensangelegenheiten, natürlich.
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wir bleiben wunden bis wir überwunden werden
-
seit 5:31:59 uhr liege ich wach & google mich
-
& wer mich anklickt das bin ich nicht
-
noch du, noch persönlich
-
brennt der search-button, verrät
-
dass ich um 08:13:29 uhr nach mir suche
-
aber kann es 08:13:29 uhr sein
-
für einen tee, für ein liebesgedicht, für eine handvoll asche
-
ich bin wunde aus wunden ausgebrochen
-
im index des lebens kommt niemand zu spät
-
& doch habe ich immer das gefühl, google
-
ich wäre nie rechtzeitig aufgeweckt
-
verstehst du, bildschirme & leichen sind spiegel
-
du kriegst die vergangenheit nicht aus den körpern
-
begriffen als ich in dir gesucht hab
-
wie in einem leichnam, verstehst du, google?
-
ich frage leichname nie, ob ich pünktlich bin
-
aber ich weiß, dass wir nicht wissen, was noch kommt
-
ich kriege vielleicht brot, eine leidenschaft & die vergangenheit
-
der zukunft, sie beginnt um 08:13:31 uhr
-
wir sind alle wunden auf dem weg nach hause
Dieses Gedicht erschien ursprünglich im Gedichtband «livestream & leichen» von Martin Piekar.
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dass auf der zunge das wort kraft
- dass mein ganzes glück am morgen
- eine blaue tasse mit meinem namen
- und kaffee, mein ganzes glück
- während draussen die welt
- sich weiterdrehte und
- jede minute eine art
-
für immer verschwand
- dass in dieser kleinen halbkugel
- auf der mein haar ausdünnt
- die wörter wohnen und nicht
-
herauskommen
-
dass es mich schüttelt vor –
- dass mein kopf so schwer
- dass ein dutzend kräftiger männer
-
ihn nicht hochheben könnten
- dass die natur immer noch so tut
- wie wenn nichts wäre
- dass alles schön wird
-
wenn man es nur lange genug anschaut
- darin liegt die erkenntnis
-
und schläft
- dass auf der zunge das wort sehnsucht
- ich meine: sich die brust aufreissen wie
-
ein falke der seine jungen füttert
- dass dein gesicht ein gestrüpp
- wo jedes du ein ast ist
-
an dem ich hänge
- dass auf der zunge das wort leicht
- dass ich so schnell einschlafe wie
-
ein stein ins wasser fällt
- vielleicht, dass ein pferd noch kommt
- und uns wegträgt
- vielleicht, dass ein bart uns entstellt
- oder der himmel sich schliesst und
-
wir ein haus bauen
- dass alles was tut als
- hätten wir es verloren
- sich heimlich sammelt und
-
ordnet zu einem zimmer
-
du denk mit mir
- vielleicht, dass ein satz
- noch zurückkehrt
- in den mund
-
lass ihn offen
-
dass auf der zunge das wort kraft
- dass mein ganzes glück am morgen
- eine blaue tasse mit meinem namen
- und kaffee, mein ganzes glück
- während draussen die welt
- sich weiterdrehte und
- jede minute eine art
- für immer verschwand
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Monstera
- Wie en Hund lueg ich us em Fänschter
- gseh öppis
- es bewegt sich
- Wie es Backbläch ligg ich uf em Tisch
- mach Ängelbewegige
- und rühr bar Stifte und Bächer an Bode
- Amigs bin ich es Ding
- wo nüt dänkt und nüt wött
- meischtens isch es mir
- zmüesam en Mensch zsi
- Denn suech ich mir
- en guete Ort in dr Wohnig
- und verwandle mich
- in e Monstera
- als Usglich
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klarkommen
- trübsal, türspalt
- bett aus anemonen
- moan, zusammen lichtkegeln,
- come, spass auf den knien
- ein hauch von haut, stossgebet.
- leck mir was süsses von der stirn,
- damit ich die trauer-trousers
- ausziehen kann.
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Geheimnis
- Es gab eine Zeit
- da musste mein Geheimnis
- um jeden Preis sicher
- bewahrt werden
- vor gierigen Augen
- und druckerschwarzen Fingern
-
und spöttisch lachenden Kehlköpfen
- einmal klopfte es
- klopfklopfklopf
- wer ist da: keine Antwort
- man hustete vor meiner Tür
- und es klopfte noch einmal
-
klopfklopfklopf
- ich sagte: ich komme
- gleich und liess Wasser laufen:
-
Tarngeräusche
- und suchte
- all das Papier zusammen
- Verbrennen würde Asche hinterlassen
- dachte ich
- und begann
- zu essen, hinunterzuschlingen
-
zu schlucken, ohne zu kauen
- und mit vollem Mund wiederholte ich:
- ich komme gleich ich wischte
- mir mit dem Ärmel meines Pullovers den Mund ab
- dann öffnete ich
- mit einem Magen voller Worte
-
die Tür
- ja, bitte?
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mirabellenlieder
- auf der ebene liegt flanell
- die erste sonne greift danach
-
fasane zerhacken die luft
- kindgewordener morgen
-
malt pastell ans vordach
- der leuchtturm fällt in tiefen schlaf
- versäumnisse verebben
- mirabellenlieder hallen nach
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geizige kinder auf amphetamin & weitere bestandsaufnahmen
-
das klicken einer schabe die an die decke knallt
-
drohungen die mich eher zufällig erreichen
-
im hotel california ohne es zu wissen
- zu viel abendland verdächtig
-
zu viel telepathie
- verlege bleistift verliere wimpern
-
kenne den umfang meiner wohnung nicht
-
aber witterung
-
ein echo das nicht mehr zurückzuführen ist
-
versuch eine häutung in echtzeit zu protokollieren
-
im stundenzimmer für gespenster
-
oder dreihundertsechzehn arten wund zu sein
- treibgut das ich auflese
- als handgepäck
Die Zeile «zu viel abendland verdächtig» ist in leicht abgewandelter Form dem Gedicht Fußnote zu Rom von Günter Eich entnommen.
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die betäubung erfolgt durch insekten
- leben, die wie krokusse wachsen
- eine zierpflanze, andere safran
- manche nur zum scheinkrokus oder zeitlosengewächs
- sind sie ausdauerndes knollenkraut
- glatt der blattrand
- um den mittelnerv
- stehen die blüten einzeln
- oder zu vielen
- erwachen im frühjahr oder herbst
- gelb, weiss, hell-violett
- zwittrig, symmetrisch und dreizählig
- im boden ihr fruchtknoten
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während das flachland explodiert
- während das flachland explodiert
- – räusper –
- stetiges rauschen, knirschen, gleissendes licht
- eis, matt von der sonne
- wind, der sanft um die häuser bricht
- fragt einer: hämmern wir nägel in die wand
-
ein anderer: where are the rough sides of reality here
- die zeit hängt schon lange nicht mehr, sage ich
- der hölzerne klappstuhl biegt sich gefährlich
- unter meinem gewicht
-
der winter stirbt einen würdelosen tod
- and what about the water
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das geilste
- fanny pack vibriert
- wenn du mir jetzt schreibst
- um die hüfte geschnallt
- lässt die vibration, die du auslöst
- mein fudi, in kleinen wellen wabbeln
- ich tu so, als würd’ ich nicht merken
- dass du an mich denkst
- dabei spür’ ich den wellen bis zum ende nach
- du schickst mir fotos, von wo du bist
- und das geilste ist
- dass ich echt lange so tun kann
- als würde es mich nicht interessieren
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inseln der nacht
- inseln der nacht
- bewohnt deine zartheit.
- am morgen:
- der sprung ins wasser.
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Palästina. Drei Impressionen.
Die Dreisternestadt
- In weichen Sneakers treppauf
- Bis zur Höhe des Turms und höher
- Trepp trepp
- Zur Aussicht aufs Meer
- Hingewölbt in die Trümmer ein Bogen
-
Zum zikadenstillen Hof wo die Männer
- Das Brettspiel beiseite legten
- Als ich geboren wurde das Kleinvieh
- Zusammentrieben die Frauen
- Für mehrere Tage
- Brot buken zur Flucht vor den
-
Flüchtenden aus Europa
- Zitadellenhohes Wehweiss treppauf
- Ausgekernt und neu gemauert
- Galerientauglich souvenirfrisch halb
- Museum halb Friedhof
- Dreisternverwöhnt der Andromedafelsen
-
Unten von den Wellen umschäumt
- Der Strand mit seiner Nabelschnur aus Gischt
- Schwingt sich hinüber zur grossen Schwesterstadt
- Den Türmen von Banken und Konzernen
- Am Himmel die sinkende Sonne
- Gross wie eine Orange
-
Jaffa juce of health
- Geflohene Zeit hingewölbt
- Zu dem Schulhof wo ich
- Meine erste Frucht schälte
- Nahezu kernlos auf dem Seidenpapier
- Der Name der Dreisternestadt
-
Und süss die Tropfen an den Fingerbeeren
- In der Hand den Dreisterneführer
- Gehe ich dem Schatten nach
- Sneakers mit Selfiestopautomatik trepp
- Trepp mit Petrus die Christin Tabita
- Zum Leben erwecken im Haus von Simon
-
Dem Gerber (heute eine Moschee siehe Plan)
- Entginsterte Mauern wehweiss
- Trepp
- Süss die Lippen damals rot vom Saft
- Der in der Pause über sie rann
- Zur Zeit als die Bewohner
- Weitere Tipps unter Reisen und Geniessen.
Exkursion
- Folge den Strassen bis zur Schranke. Zum Lauf der Hand-
-
Feuerwaffen. Merke dir Kategorie, Kaliber, Kadenz.
- Zähle die Mauern, zähle die Zäune, zähle
-
Die Gräben, die Wälle. Ort, Datum, Jahr.
- Lege das Ohr auf die Erde. Frage das Gras, wann es Zeit ist
-
Für Rache. Wiederhole die Frage. Warte auf Antwort.
- Geh zu den Gräbern, mische dich unter die Toten. Lies
-
Wie sie wurden zu Stein: Geschlecht, Alter, Art des Todes.
- Schalte im Zimmer das Radio ein, lausche den Reden, den Schwüren
-
Beim Bart von. Anrede, Amt, Wohnsitz.
- Stopfe deine Pfeife mit Hingabe. Rauche. Klopfe sie aus
- In deine Hand. Zähle, was bleibt.
Justierung
- Die Schatten wissen nicht, zu was
- Sie gehören, das Dunkel hat den Besitz
- Neu verteilt. Du hörst deinen Atem
-
Nach dir rufen. Im Traum
- Gibst du ihm Antwort in Babylons Sprache
- Als ein Vogel. Die Dämmerung nimmt dir
- Die Federn vom Leib, legt auf die Schwelle
-
Einen Wind, einen Wunsch, ein Stück Helle
- Du stehst nackt an der Tür, zögerst
- Den Moment hinaus
- Wo Hose und Hemd dir sagen
- Wer du bist.
Auf nächsten Frühling ist ein neuer Lyrikband mit Impressionen aus Israel und Palästina geplant.
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über den Rand segeln
- Mit der frühesten Verbindung
- segle ich über den Rand
- und schaue von unten
- wie es sich entwickelt
- das Wasser im Osten
- das Feuer im Nordwesten
- und die Gesetze für morgen
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ewig rauscht II
- küste, unbehauener saum zur sehnsucht
- über die gischt schiebe ich erinnerungen
- richtung horizont
- perlmuttern ist mir zumute
- wohin mit all dem treibgut, kopf
- im geröll die zeit knietief
- versunken bis der sturm
- meinen namen flüstert
- zwischen zwei sandkörner
- das letzte licht
- des tages
- fällt
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Feuerfest
- Die Flammen brannten durch bis auf den Knochen.
- Arme, angekohlt in blütenweißen Binden:
- Wie die feingenarbten Rinden
- abgeschmückter Maibaumbirken.
- Pass bitte auf. Er sagt, sie sind gebrochen.
- Unter Mullkompressen schmort die Haut
- in marmorierten Schwarten, wie zerhackt.
- Der Wulst der Lippen hart verbacken.
- Wenn ich ihn drück‘, hör hin: Es knackt.
-
Der Harnstoff und die Glycerine wirken.
- Die Erdbeer-Bläschen — wie sie leise kochen
- wenn die letzten Zellmembrane knisternd platzen.
- Jucken steigt aus den Matratzen,
- denn ich soll im Liegen leiden.
- Mach kurz und schnell. Du hast es mir versprochen.
- Diese Hitze klebt und tropft nicht ab.
- Von Epidermis hebt sich heller Flaum
- aus frischgestärkten Festtagsspitzen.
- Geh ganz nah ran, man sieht ihn kaum.
-
Dabei bin ich der ält’re von uns beiden.
- Die wahren Schmerzen kommen erst nach Wochen.
- Wenn aus feingeblümten Kaffeenachmittagen
- plötzlich Dämmerschatten schlagen,
- dröhnend von den Wänden hallen.
- Ich hab es nicht geseh’n und nicht gerochen.
- Funken, ein Kanister Aceton,
- das Blaulicht zuckt. Es war die Ungeduld.
- Dann Trümmerschlaf der Opiate.
- Ich weiß doch, es ist meine Schuld.
- Geh weg, wenn bald die Schatten auf mich fallen.
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manchmal
- Mir fehlen die Worte
- manchmal
- wenn es mir die Sprache verschlägt
- dann rede ich fremde Sätze lauthals ins Leere
- damit sich die Tür wieder öffnet
- die mich abgewiesen hat
- und ich Gedanken finde
- die in mir eingeschlossen sind
- damit ich etwas sagen kann
- und es nicht mehr so weh tut
- weil Worte fehlen
- manchmal
- wenn die Sprache wegbleibt vor lauter Gerede
- und überhört wird, was unsagbar ist
- weil es einfach wortlos da ist
- manchmal
- wenn das Schweigen lauthals Antworten verspricht
- und das Versprechen es bricht
- weil es nicht versteht
- was es glauben will
- wenn Ideen ungefragt entstehen
- manchmal
- wenn der Stille die Stimme versagt
- sich schreiend festhält
- was nicht gefällt
- wenn der Kopf sich ahnungsvoll entspinnt
- und die Träume wortreich von Sinnen sind
- manchmal
- hat die Welt mich verschluckt
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ohne warnschild
- es fällt mir schwer zu sagen
- dass ich zusah
-
wie deine sehnsucht starb
- man trifft sie
- an den wegbiegungen
-
eines anderen himmels
- in den stunden deiner zweifel
- werde ich für dich atmen
-
schrie ich
- doch meine stimme hallte
- durch eine unsichtbare zeit
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(ohne Titel)
- für Schwartz
Heute ist 1 Tag an dem ist der
Mund voller schwerer Sterne Sie
purzeln von der Lippe & kollidie-
ren vor der Brust Jetzt ist im Zim-
mer 1 Kugelsternhaufen & erst
nach sieben Milliarden Jahren
erreicht sein Licht dein Troglodyten-
auge
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Die Linien
- Man sieht es genau; die Linien gehen spazieren
- auf dem weißausgelegten Feld, noch wird keine Richtung
- verraten, noch nicht sprüht es Farben, elegante,
- filigrane Gebilde, Pilger zu den Geheimstätten
- Tiefspuren hinterlassend. Ein Wink von der Seite,
- wie die aufgescheuchten Puppen beginnen sie zu laufen,
- kreuz und quer durch die leichtgewellte Ebene verbiegen
- sich, verflechten, verknäulen, ein Wirrwarr,
- man sieht es ungenau, da rechts vom Graziösen
- nur ein Rest und alles was sich bewegt, das Flache
- schweben lässt, wird vom Rand zurückgedrängt,
- an der Grobkante enden. Ob es wohl helfen würde,
- in die Breitrahmen zu springen? Sich dort zu vervollkommnen.
- Den Wildlauf könnte man verhindern,
- wenn man auf sie aufgepasst hätte.
- Es hieße dann: Wenn die Linien spazieren gehen.
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Frühling
- Fliegen torkeln herein
- durch’s offene Fenster.
- Wohnmobile werden geputzt.
- Motorräder zwitschern ihr Lied
- von Freiheit und Dreck.
- Die Mücken tragen ihren ersten
- Tanzwettbewerb aus.
- Und du sagst, du liebst mich nicht mehr.
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angeschnitten
- ein filetierter nachmittag brutzelt
- auf den treppen zum fettarmen fluss
- weitreichende hände streifen die warmen
- flanken der luft unter durchgebratenen wolken
- bald kommt sie dort zum erliegen
- schon verzehren die herbste ihr
- heißes fleisch mit aufgeplusterten mündern
- seitdem ist die angst vor den menschen gering
- die aus lieferbaren zutaten bestehen
- wie zahnstocher bleiben sie zwischen
- adventszähnen stecken
- und hungern aus angereicherten augen
- wenn die füllung aus dem abend quillt
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Exkurs
- Man könnte
- es kaltes Feuer nennen
- unbestimmbare Substanz
-
zwischen Sonnenflechtzentrum
- Augenweiden und gewölbtem
-
Herzsegel
- eine vorgerückte Ahnung
- mindestens
- einen Meter über
-
dem atemlosen Boden
- Luftpartikel
-
ungeteilte Flächenraster
- Wortgestöber
- an den Flanken
- eine Zehn-Sekunden-Hierarchie
-
mit Fensterglas-Ikonen
- Lächelrabatt
-
und colorierten Phrasen
- Man könnte
- mit empfindlichen Maschinen
- Vorschlagswerte aufaddieren
-
Formeln nutzen
- die Zusammensetzung des Lichts
- an die eigene
- Vorstellungskraft anpassen
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faden kreuz weise
- fest im Griff den Zwirn, so weit
- die linke Hand reicht und im Kopf
-
mein kleiner Minotaurus
- schnaubt mir nächtens ‘was von
- der Arena in den Hochetagen, Ruhm
-
und einem Berg aus purem Stolz
- am Tage packt er mich dann bei den
- Lippen, im ewigen Kampf des Menschen
-
gegen das Tier in seiner Mitte, stößt
- mit kompetent versilbten Lanzen auf
- dem Weg, der durchs Gelaber rinnt
-
durch Dünkelkammern voller Licht
- der Ausgang ist mir längst gewiss
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Wenn es einmal so weit kommt
- Im Frühjahr pilgern die Städter hinaus
- auf die Dörfer und Fluren, um den
-
heimkehrenden Schwalben zuzujubeln.
- Zu Sommerbeginn hängt man die Fenster aus,
- damit die Stubenfliegen über den Tischen
-
ungehindert die Zeit einwickeln können.
- Nach jedem Regen sperrt man die Straßen
- den Schnecken zuliebe, die sich auf den Weg
-
gemacht haben auf die andere Seite.
- An Herbsttagen versammelt man sich
- unter Bäumen, um den gefallenen Blättern
-
das letzte Geleit zu geben.
- Am Ende des Winters öffnet man
- die Kühlhäuser für die Rettung
-
der dahinschmelzenden Schneemänner.
- Wenn es einmal so weit kommt, wird es
- nicht mehr nötig sein, Verse zu schreiben -
- alles wird zu einem Gedicht.
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bewegungen
- diese stille
- wenn ich im dämmern erwache
-
und mich erinnere
- an die heimkehrenden boote
-
auf der glänzenden stahlhaut des morgens
- das tuckern deiner haut
-
die präzise geometrie der vergänglichkeit
- du hast das mal gelesen
- irgendwo
- flochten wir unser lächeln aufs rad
-
die nächte blieben
- nicht die boote
- nur das mechanische rattern der güterwagen
-
die fremde geschichten erzählen
- kantige worte
- und das blut auf der zunge
-
schmeckt nach eisen
- wir waren angehalten
- am ende der bremsspur
- unserer lippen
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Morpheus ist zu Scherzen aufgelegt
- Nach Eintritt in des Schlafes Schloss
- legt man, was auf den Knochen klebt,
- an der Garderobe ab. So weit, so schön.
- Doch sind die Hände wundgeklatscht
- und flattern fort und bläht der Vorhang
- sich, es kommt, es kommt, strebt alles
- auf den Ausgang hin. Dann mag es sein,
- dass im Gedräng die fremde Haut man
- überstreift sich und derart fehlerhaft
- bezogen man in die Nacht hinaussteigt
- und falsch kraucht in den neuen Tag.
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Jesu corona Virginum
- Jesu corona Virginum
- sangen unsere Mütter
- bei der sonntäglichen Vesper,
- erwartete Erholungszeit zwischen Mittag-
- und Abendessen, nach so viel Auf-den-Füssen-Stehen,
- wobei sie an die älteren, in Kalifornien
- wer weiss wo verlorenen Söhne dachten
- (die jüngeren, Geduld, sind noch da,
- mit dem Chorhemd um den Altar),
- Söhne, von denen sie, durch eine an Weihnachten eilig
- geschriebene Ansichtskarte, wussten, dass sie
- noch lebten; sie erinnern sich, wie sie ihnen
- die Händchen führten, Aufwärts- und Abwärtsstrich,
- immer das gleiche Stolpern, und jetzt «ich bin
- euch zu sagen, dass es mir gut geht», Ärmster.
- Es erhob sich danach der Weihrauchnebel und liess
- in seinem Wohlgeruch unsere Mütter träumen,
- vielleicht von der weissen Rose des Doré-Drucks
- für die Jungfrauen in ihrem glorreichen Flug;
- von einem Plätzchen für sie, weiter unten, und dann
- nur schauen, in Ewigkeit dasitzend.
Jesu corona Virginum
- Jesu corona Virginum
- cantavano le nostre madri
- al vespero domenicale, sosta attesa,
- fra il desinare e la cena
- e dopo tanto stare in piedi,
- per ripensare i figli maggiori
- perduti in California, chissà dove
- (gli altri, pazienza, ancora lì
- con la cotta intorno all’altare),
- saputi vivi con la cartolina
- scritta in fretta a Natale, a ricordare
- le manine guidate sul quaderno,
- asta e filetto, gli stessi inciampi, e ora
- «sono per dirvi che sto bene», poveretto.
- S’alzava poi la nebbia dell’incenso, e in quel profumo
- le nostre madri sognavano, chissà, la stampa
- della candida rosa del Doré
- alle vergini il volo favoloso; per loro
- un posticino sotto, e poi guardare
- sedute per l’eternità.
Plinio Martini
Plinio Martini (1923-1979) gehört zu den Klassikern der Tessiner Literatur. Zeitlebens als Lehrer tätig, begann Martini sein literarisches Schaffen als Lyriker, berühmt werden liessen ihn aber seine Romane. Eine Auswahl seiner Gedichte erscheint 2023 im Caracol Verlag in einer zweisprachigen Version.Christoph Ferber
geb. 1954 in Singen, wohnhaft auf Sizilien, ist vor allem als Übersetzer von Lyrik bekannt geworden. Aus dem Italienischen hat er unter anderem übersetzt: Gaspara Stampa, Ugo Foscolo, Vincenzo Cardarelli, Francesco Chiesa, Giorgio Orelli, Fabio Pusterla, Donata Berra, Pietro De Marchi.Magazin für zeitgenössische Dichtung Magazin für zeitgenössische Dichtung Magazin für zeitgenössische Dichtung
Parapostmoderne Sentimentalität
- Draußen am bodentiefen Fenster,
- mein Aus und alles, sinnbefreit
- lächelte steril
- albern
-
banal.
- Für Tragik hat es nicht gereicht,
- wieder in der Bar, noch ein größeres
- Scheitern, mein
- Ein
-
und …
- Auf Kleinformat gefaltet
- zu kleines
-
Gedicht.
- Draußen am bodentiefen Märchen-Spiegel
- Seelen-Hülle Frage-Einladung Sinn-
- Befreiung wieder
- Scheitern
- Fenster.
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Mont Faron
- Am felsigen Steilhang
- Serpentinen knapp
- so breit wie das Auto
- Ausweichbuchten
- für Gegenverkehr
- keine – käme einer
- no risk no fun
- Schwindelblick
- auf das Meer
- die Stadt
- Toulon den Hafen
- Kriegsschiffe
-
im Abendlicht
- Ganz oben wird klar
- die Strasse ist Einbahn
- führt rund um den Berg
-
und gewunden zurück
- Restaurant fermé
- davor in seinem Gehege
- kreist ein schwarzer Panther
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schlachtschmaus – ein Gedicht
- blumenbrot, blumenbrot
- holla der rosentod
- hasennot hosen rot
-
wegen dem vielen blut
- kohlhaut, kohlhaut
- wo bleibst du helmut
- zweitopf zerteilter kadaver
-
wegen der vielen schlachterei
- hauptschmaus, leichengraus
- das haus voll abfällen wegen der ganzen
- putzerei wegen der ganzen
- sauerei
- wir essen jetzt sagt da die gisela
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Küchenmusik
- Gegen Hunger und stille Gewohnheiten,
- frische Eier von glücklichen Kühen
- mit Speck und die nebligen Hügel
- der Glocke führen zu Heldentaten:
- deux heures schlafen, dann direkt
- zum Weißwein. Bereit
- auch die Stille zu küssen,
- aber sie versteckt sich in einem Laib Brot,
- klappert mit einem unbekannten Dialekt.
- Das ist es, denkst du, ein Fest wird es sein.
- Die Assonanz ist perfekt,
- deine Stimmbänder schwellen rasch an,
- das Jodeln der Pfannen, ja, ja,
- ein Ton râpe à fromage, die Freiheit
- verstopft dir endlich den Mund.
Глад за музика
- Противно на всякакви навици,
- яйцата на пресните крави
- с бекон и мъгливият склон
- на камбаната водят до подвизи:
- сън deux heures, а после направо
- към бялото вино. Готов
- да нацелуваш и тишината,
- но тя яхва самун селски хляб
- и дрънчи с непознат диалект.
- Някакъв празник ще да е.
- Какъв съвършен асонанс,
- набъбват ти гласните струни,
- айларап от тигани, да, дада,
- щипка râpe à fromage и
- свободата запушва устати ти.
Die Übersetzung aus dem Bulgarischen stammt von der Autorin.
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Am Ende einer groszen Verwirrung
- Dich gibt es nur einmal, auf diesem Planeten
- Du bist einer von hundert Menschen die noch leben
- Du bist tausend Jahre alt, kannst gerade mal aufrecht gehen
- Die Menschen essen Menschenfleisch, nur du bleibst draußen stehen
- Wir tragen schwarzes Leder, wir tragen fremde Haut
- Wir gehen nicht mehr schlafen, dafür ist es zu laut
- Die Menschen spielen Spiele, ich bin immer allein
- Nachts hol ich die Schätze rauf, viel mehr kann ich nicht sein
- Wir gehen niemals baden, es gibt kein Wasser mehr
- Die Rohre singen leise, sie sind für immer leer
- Ich glaube ich kann nicht sterben, ich bin schon immer da
- Ich hab alles gesehen, was mit den Menschen war
- Sie kannten schon ihr Ende, sie haben es gewusst
- Ich habe sie beobachtet, ich kann nicht nur, ich muss
- Mein Anfang ist mein Glaube, mein Ende wird er sein
- Ich glaube nur an mich, ich lebe nur zum Schein
- Was nützt auch die Erzählung, wenn keiner übrig ist?
- Ich atme mich durchs Vakuum, ich werde nicht vermisst
- Wir sind des Rätsels Zeugen, wir könn’ es nicht verstehen
- Wenn wir mal etwas spüren, dann dass wir untergehen
- Ich träum von deinem Körper, mein Traum lässt mich nicht rein
- Der letzte Mensch der Erde, werd ich für immer sein
- Ich schreib mir von der Seele, was ich nicht wissen kann
- Ich schreibe mich lebendig, bin Gottes letzter Mann
- Was wollt ihr von mir hören, ich wahre bloß den Schein
- Das Paradies wird untergehen, es wird die Hölle sein
- Auch tausend letzte Worte ändern nichts daran
- Zeigen mir nur wieder mal, dass ich nichts ändern kann
- Dann seh ich jemand andern, ein Mensch, der mich erfüllt
- Ich mach ihm schöne Augen, es ist mein Spiegelbild
- Warum bin ich so einsam, ich halt es nicht mehr aus
- Mit Händen nass von Tränen, grab’ ich die Toten aus
- Ich hab jetzt keine Angst mehr, und spür auch keine Wut
- Ich hege wieder Hoffnung, der Tod, er steht uns gut
- Vergiss was ich erzählte, es war nicht so gemeint
- Wir fangen nochmal von vorne an, wir sind wieder vereint
- Ein Fenster fliegt zum Fenster raus, ich kann es nicht mehr sehen
-
Was ich nicht sagen kann, brauch ich auch nicht verstehen
- Im Staub tanzen die Toten aus einer anderen Zeit
- Ich schaue ihnen zu, ich bin für dich bereit
- Unter der toten Sonne, betten wir uns auf Lehm
-
Wir schlafen mit der Erde
- Sie kann nicht untergehen
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streulichter
- aus mythischen gefilden der erinnerung
- gaukeln reflexionen empor ändern namen
- die luft wird zum seelenarchiv feinkörniger
- partikel die lang sam l a n g s a m zu boden
- sinken in serien von augenblicken wie einer
- ankommt sich hinsetzt wie einer atmet
- die schrammen in seinem gesicht wiegt
- wie er redet dabei die konsonanten und
- vokale artikuliert wie er gestikuliert wie
- den arm beugt das geweih seiner hände
- knacken lässt wie er den kopf hebt wie
- sich in wiederholungen regt wie stark
- einer dir die hand drückt wie er leicht
- aufsteht wie seine schatten wirft welche
- regungen er hinterlässt beim gehen
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ELEGIE IX
- “Was frag ich nach der welt! sie wird in flammen stehn:”
- Andreas Gryphius
I
- wir haben keine dogmen
- kein manifesto keine emotion
- keinen tractatus keinen tod
- keine wunder keine vision
- keinen morgen keine namen
- keine mythen keine riten
- wir haben keine dogmen mehr
- nur leeres stroh und
- akkumulatoren
- seltene erden und
- geschlechtskrankheiten
-
wir haben keine dogmen mehr
- unsere hände sind taub und leer
- wir sind frei und
- gefangen
- in der weißen
- weißen
-
wolke
- wir
- das volk
- wir sind das volk
- das volk
-
das volk volk volk
- wir sind geliehener
- staub im exil
II
- lies w.g. sebald
- und mach liegestütze
- wie ein hund
- im wohnzimmer
- he spies with slow hands
- he spies with lizard eyes
- mach dir keine sorgen deine
- nekrotischen knochen
- werden heilen bis in den späten
- bis in den sommer folge nur
- dem denken bis zu den
-
hirngrauen tagen
-
niemand kommt mehr hinter die dinge
- materie und widerspruch
- gryphius lesen und krieg den palästen
- zwischen schein und wesen
-
die tyrannei der unsterblichkeit
- o sybilla sybilla
- wir beschwören doch nichts wir
- rufen doch nichts an wir glauben
-
an die sterne und an elon musk
- ich –
- dieses überlebensgroße
- modell o o o o
- o melancholische nacht
- wir nahmen schon kerosin
- we can change our shape
- into anything
III
- von der mittagshelle überrascht
- von den flimmerhaaren in den schlaf
- gebracht den tod endlich verstehn:
-
warum immer so hysterisch?
- es wird wohl wege geben von hier nach dort
- was war und was hätte sein können ich bin hier
- und nirgendwo anders weder in der zukunft
- noch an einem anderen ort ich bin hier weder
- in der vergangenheit noch in dem was gewesen
- sein wird oder in einer anderen zeit ich bin hier
- es wird wohl wege geben von hier nach dort
- und ich bin an jedem andern ort ich bin hier
- und an jedem andern ort in jeder andern zeit
- in dem was hätte sein können und in dem
- was war ich bin an jedem ort in jeder zeile
- in jedem morgen in jedem wort in jedem tod
-
es wird wohl wege geben von hier nach dort
- wir haben das alles gehört
-
aber wir sind bankrott
- morgen abend sind wir verloren
-
es ist die wahrheit
- wir brauchen einen boykott
- von rüstungswaffen
- von streitkräften
- von schlachtfeldern
- von meerloser zukunft
- von lichtmangel natürlich
- und von gott
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Flügelwäschetrockner
- Jesus blickt von der Wand aus mindestens 14 Augen herab.
- Ich sollte beichten, mit Brot im Munde und Wein im Geiste,
- dass ich mich unzählige Nächte zwischen den Beinen anfasste.
- Ich brauche Tabak, Maria Voicu rät mir vom Rauchen ab,
- das ist eine Männersache.
- Maria Voicu sagt, ich sollte heiraten, dann müsste ich nicht zum Südbahnhof joggen
- und allein Kaffee kochen am Morgen.
- Ich könnte Wäsche waschen, aufhängen (auf dem Flügelwäschetrockner), abnehmen, bügeln, falten, versorgen,
-
so wie es gute Frauen eben tun.
- Aus dem Zimmer nebenan ertönt das antike Schnarchen von Maria Voicu,
- es ist zwei Uhr morgens,
- im tiefsten Schlaf fantasiert sie von Petre Voicu,
- im luzidesten Zustand bügelt sie Wäsche für sein Phantom.
- Hundertjährige Porzellantassen ruhen auf den Holzregalen,
- das Dienstmädchen vorbereitete einst Kakaomilch darin und schwieg,
-
so wies gute Frauen eben taten.
- Viele Ferientage verbrachte ich wie ein katholischer Priester unter dem Dach von Maria und Petre Voicu,
- zwischen meinen Oberschenkel erwachte Sexus,
- doch keiner konnte sich daran vergnügen, denn Maria Voicu verbietet mir nach 24Uhr auf den Strassen zu gehen.
- Ich sei schon über zwanzig, ich sollte mir ein weisses Kleid kaufen.
-
Maria Voicu sagt: Sei einfach nett zu den Jungs und nicht zu wählerisch!
- In der Wohnung von Maria Voicu gibt es auch andere Geister.
- Elisa und Marcela, Verliebte aus 1920, Besucherinnen meiner Träume von Netflix:
- ihre Berührungen elektrisierend, orgasmuswürdig, 15 Sekunden zurückspulen immer wieder immer wieder bis…
- Leerer Flügelwäschetrockner.
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Nacktes Leben
[für vier Stimmen]
- Wer kann wen retten
- ohne sich zu opfern?
1.
Ana
- nur die Wörter wechsle ich wie
- Unterwäsche
- sie lagen lang unter den Rippen
- erfroren
- mickrig
- es war nicht so dass ich sie nicht wollte
- ich kannte sie nicht
- rechtzeitig am richtigen Ort
- frei zu sprechen
- jetzt sagen sie
- schaut das ist die
- und sehen nicht wie
- ich das erste Mal
- mein eigenes Kind Wort
- Wäsche
- wasche
2.
- Eurydike
- unausweichlicher Stolperkörper
- vergeben
- vergiftet
- versunken im Hades
- mit seiner Stimme
- der Hoffnung aufgewacht
- endgültig verloren zurück
- gesandt in die doppelte Dunkelheit
- aber ich sage es euch
- wir trafen uns im Spanischen Bürgerkrieg
- vor dem Tag als ich die Hand verbrannte
- sie sprach mit meiner Stimme
- sie war sehr schön
- skulpturiert
- Meine Mutter
- Mein Vater
- Liessen mich nicht
- auf dem Schlachtfeld
- Freiheit suchen
3.
- Ich komme
- aus leeren Orten
- in welchen
- ich
- ahne
- Glanz
- oder
- Anwesenheit
- mehr oder weniger
- Handvoll
- (ja Handvoll)
- Hoffnung
- (eingebildete - ich weiss)
- erblinde fast von
- Sehnsucht
- bei dir zu sein
- ein Augenblick
- Repariere verletzte Hand
- wie tief gepflügtes Feld
- belasse
- Samen
- soll mich verbinden,
- es wird gesagt
- es ist kein
-
Böses nur für Böse da
- nije svako zlo za zlo
4.
- Es hat mich ein Niemand
- vergewaltigt
- ich bin Vorschatten
- eines grossen Schattens
- den meine
- Gedanken wie ein Kleid tragen
- während Ich
- dem Horizont
- gestrigen Schmerz ausziehe
- Schau,
- meine Hände sind nicht meine
- wie kann ich auf den Fingern die Weichheit fühlen
- Bitte nicht
- es gibt Fragen von welchen man besser
- aus Laune heraus
- katapultiert sei
5.
- Heiliger Geist ist noch nicht Heilig
- erweiche mir den Fall
- Aufprall
- wie dass die Welt zu zweit
- die Genehmigung besitzt für
- ein schwereres aber märchenhaftes
- wahrhaftiges Sein
- in ihrer Ehrlichkeit haben mir die
- Leiden am meisten geholfen
- in ihrer Ehrlichkeit
- ich ging durch sie wie durch
- die Piazza
- mit entblössten Illusionen
- ausgebügelten Schatten
- Ich nahm nicht das Messer,
- weil ich nicht wusste
- wie viel kann des Fremden Leid
- meines heilen
- Wie viel Fleisch habe ich
- noch um mich in mir
- mein wahres
- Gesicht zu
- schneidern
- Bitte dich
- erlöse mich nicht
- es wird schwer
- nimm meinen Wunsch an
- so voll Schmerz muss ich
- zurück gehen
- damit ich einmal
- dich retten könnte mit grösserer Sehnsucht
- Du hast Angst
- wie ich
- vor dem Licht welches uns damals
6.
- Es braucht nur
- die Strasse zu finden ich gehe in
- beliebige Richtung werfe Sehnsucht weg
- wie Rest der Last
- damit sie mich nicht überbelastet
- in Unzeiten
- Ich bin nicht dieselbe aus weichem Herz
- unscharfe Zunge
- verstreue Zelte
- (sind nicht alle himmlisch)
- retuschiere Foto des Geliebten
- damit ich ihn verlieren kann
- wie er mich
7.
Rede
- Och, wie die Pflaumen reif sind während
- Tschechow niedergeschmettert mit Tuberkulose
- Sagt
- gehen wir noch mal
- gehen
- müssen uns befreien
- aus diesem Wunderzauber der Worte
8.
- Dass ich Fuchs bin
- erfuhr ich per Zufall
- als es keine Zweifel gab
- erst dann ekelte mich
- mein Hundeleben
- ich wische meine Tränen
- schleckte an der letzten Mahlzeit
- wievielmal muss ich
- von einem zum andern hinein hinaus gehen
- damit aus
- schrägem Vogel
- richtige Frau wird
9.
- Habe die Zustands-Protokolle über
- Voraussetzungen welche herrschen vor dem Leben
- aufgehoben
- Unter der Folie der Worte
- sang ich aus der Not
- beleuchtete den
- Abfall der Geschichte
- drehe mich um meine Gravitations-Linie
- flog aus Unkenntnis und blühte
- auf
- što od nas uradi tko?
- Wer macht aus uns was
10.
Grossmutter
- Wir kamen aus den Häusern
- es war Spätherbst
- Jesustag 1942
- wie man so zu sagen pflegte
- Zeit war arm und unglücklich
- Jemand unter uns zeigte auf ihn
-
mit dem Finger
- (Chor sang: wir sind immer für euch da)
- Frauen sagten
- sie ist unter uns
- Wir beten dich an
- nimm Jela zum Leben mit
- Sie ist eine von diesen Frauen
- hinter welchen sich niemand umdreht und dann
- stirbt
11.
- mein Körper ist
- aufgeklebter
- Grundriss
- der Berührbarkeit
- Inversion
- gemacht wegen dem oder den
- ich habe viele Möglichkeiten zu
- liken
- meine
- Schwachheit auf der Säule der Scham
12.
- es fehlt ihr schwer
- gehe in andere Richtung
- borge Haselnüsse aus den Haaren isst
- den welche überflüssig scheinen
- bin nicht benutzt
- stimme mein Schrei mit Schicksal
- Schrei aus der Seelenunruhe
- Jela hat ihren Mann verloren
13.
- Schaut her
- das ist die Wunde der Hand
- der Wirklichkeit
- sie ist zugedeckt
- unausgereift
- es gab nicht die milde
- nicht Empörung
- ich versteckte mich unter dem Lächeln
- ernährte mich mit Schweigen
- deckte mich mit
- es vergeht,
- es vergeht,
- wenn mir
- andere die Augen
- unter der Haut
- sieht
14.
- Nach der Revision
- Fall - Ich
- ist kein Stein
- auf dem Stein geblieben
- Vergangenheit ist kein Zustand
- Wir sind so nah
- dass es nicht weiter geht
15.
- Ich bin Herrscherin der Spiele und Spiegel
- ich bin Fuchs ohne Schwanz
- Storch ohne Schnabel
- ich bin Anfänger Buch für schreckliche Prüfung des Unwissens
- ich kann mit dem Fingerabdruck
- den Transfer Immobilien und Mobiliar stoppen
- Wer immer bei mir anklopft ich mache die Türen nicht auf
- wer sucht der ist nicht würdig unter meinen Schirm zu kommen
- ich bin das schlechte Gewissen (nicht gebraucht)
- ich bin Erkenntnis überstreckt
- meine Aktien kotieren schlecht
- ich bin ja Herrscherin der Hochspannungs-
- Leitungen
- Unterjuble dem Vogel aus Wachs Flügel
- ich trete aus Schemata nackt hinaus
- weil
- ich halte von allem ̈
- nichts
16.
- Bin erblindet als ich sehe
- Licht erhielt nicht?
17.
- Wir befinden uns jetzt auf dem Territorium
- Ort ist so
- wie man ihn sucht für die Verfilmung
- mit Eurydike als Pornostar
- ihre Haut in Lichtkontrast
18.
Vorspann
- Was für Freude uns wieder erwartet
- Sonne entfernt sich
- es ist nicht Dunkelheit
- aber man muss nicht
- blinzeln
- aber was sollst du an diesem Ort
- Vom Ende zu dem Anfang
- wird der Film aufgedreht unausweichlich
- Ekstase Freude
- Anfang ist grossartig
19.
Wally Neuzil
- Farbe ist Hysterie des Lichts
- erröte
- Rot geht durch dein Auge
- eilt in die Gegend
- der Leiste
- dann zeigt sich an Ohren
- welche erst die Hitze spüren dann
- schauen wir beide
- auf die Erde kurz
- soll nur dieser Moment
- erbleichen
20.
- Ich stoppe
- um Verbrennung einzuatmen soll mir der Geruch
- Erinnerung
- ohne Zeugnisstützen
- nur so
- hereinfallen in den Strudel der Wünsche
- Sollst mir Türen öffnen hatte geschworen
- ich habe dich gekämmt
- vor dem Abschied
- Hier ist Schauplatz
- die wichtigen Ereignisse sagte ich bettelnd kniend an den
- flachen Gräbern
- ich bleibe am Tatort
- weine nicht singt ein Vogel
- aus ihrer Perspektive ist Träne
- Wasser des Lebens
21.
- Hier endet die Wüste
- Kontinente haben sich verschoben in dem Moment
- der Aversion gegen Prophezeiungen
- Wie schön ist es
- vor und hinter sich Nichts zu sehen
- Gefühl der Befreiung aus Attrappe der Zeitlosen Geschichte
- Wir sind Zeugen
- der Unbrauchbarkeit Gottes Kalkulationen
- Ich renne weg
- Es ist wahr
- Ich renne weg
- Laufen ohne Wunsch
- Ich habe alles abgeworfen
- aber wie bleiben wo du bist
- wenn du nie gesehen hast
- wo du bist
22.
- Sie ist über die Strasse
- gerannt
- ohne Rückkehr-Möglichkeit
- lebt angeblich flussabwärts
- später konnte sich niemand erinnern wie lange Dunkelheit dauerte
- versuchen wir
- unsere Gesichter zu erhellen
23.
Ana zu Ingeborg Bachmann
- Tränen sagen sie
- bringen Erleichterung
- von was sagen sie nicht
- Zunge hat sich verbogen wie Nägel
- dein Fleisch ist geröstet
- durch Abtrennung von ihm
- du adaptierst eigenen Mythos
- in welchen der Verschwörung
- einziges Schlupfloch sei
- Singe dort wo du bist
- sei in jenen Wassern wo Schiffe versinken
- Du weisst es
- Klug wie du bist beweinst du
- jene welche du in den Bauch der Haustiere geworfen hast
- Bitte bieg mich übers Glücksknie
- damit ich mich
- erheitere an eignen Illusionen
24.
Lektion
- Bitte
- verzweifle nicht
- obwohl du nicht weisst
- worüber ich rede
- sei genau
- das ist eine Simulation der Umwandlung
- des Seins in
- Umbedeutenheit
25.
- du entfernst dich aus dem Blickwinkel/Radius
- wir sind doch getrennte Einheit
- doppelte Durchlässigkeit
- du schaust die Hände welche
- gesunden von gesund
- kannst
- Schicksal enteisen
- wenigstens das kannst du
- aussagen
- vor dem Gericht
- alle Phantasien abgelegt/erzählt
- und jetzt werden sie entwirrt
- so sagen uns die klugen Menschenfrauen
- wenigstens
26.
Notiz
- Warum Simone Weil die mystische Ekstase der Schönheit gebraucht hat?
- Um rational zu beweisen und zu erweitern
- Ihr Hirn zu nähren welches austrocknet ohne Essen
- Verbundenheit mit anderen Wesen welche sie braucht
- um Wahrheit zu bekunden
- Wie kann man eigenem Erleben glauben und die Verbindung mit der realen Welt erhalten
- (damit experimentiert auch Marina Abramović)
27.
- Auf der Bühne
- wechseln sich schlecht gespielte Szenen
- mit den wahrhaftigen Perlen des Empfindens
- jetzt
- wachsen sie, Kleider wie Bäume, Pflanzen
- Verkörperung der Illusionen
- die Wörter haben
- etwas bezeichnet
- ich machte sie aus dem Porzellan,
- Unruhen, Verirrungen
- wie hundertfüssige Fische, wie grünen Mond,
- wie alles was sich dreht
- und wenn sie wäre
- du bist kleine Fussgängerin des traurigen Wunders
28.
- Fälscherin der nicht geschriebenen Geschichte
- Vorführerin in Etwas was es nicht gibt
- Gedichte aus Zukunft
- ausbreiten,
- eine andere Ebene des du
- körperlose Simone
- Gehen wir hinaus, in die Welt hinter den Ozeanen,
- gehen wir hinaus in die Welt der
- Erzählungen welche sich erwärmen mit guten Lügen
- gehen wir hinein in die Welt der Geräusche,
- gehen wir dort
- wo noch was wartet
29.
Alchemie
- Warum WomenIrrhaus als dritter Ort der Möglichkeiten
- das Erlebte zu Unmengen
- ins andre
30.
Ana
- Ich war in dem Haus,
- sah eure Körper sich bewegen
- du fragtest
- was ist los
- während in mir alles versteinert
- und immer wieder die Träume
- du liebst mich
- Es ist Betrug
31.
- Das ist meine Geschichte sagt Ana
- In der Mitte einer Nacht als meine Mutter hinter der Wand geschlafen
- zur gleichen Zeit sich verliebt hat,
- das werde ich später erfahren
- ich verpacke diese Nacht in die Folie
- von dem was ich heute weiss
- WomenIrrhaus
- einen Mann aus seiner Familie herausziehen
- du hättest um mich gekämpft wie Orpheus
- Ich verwandle mich wieder in mich selbst,
- diese welche es nicht gab
- meine Sprache kommt aus anderen Mündern
- können andere nachholen,
- was wir selbst nicht hatten
- wir werden getäuscht
- aber ein bisschen zu viel gesagt
- Analphabetismus schützte
- etwas verhaftet unter Umständen
- wie wir alle
32.
Ingeborg Bachmann
- Liebe ist das verderblichste Gut
- Wir sind in Körpern gefangen
- an die sie sich kurz erinnern
- die dunkle Seite der Welt
- Ich sehe, wie der Richter Eurydike fragt
- Er hat meinen Traum benutzt
- Ich habe nicht darauf gewartet
- dass er das tut
- mich vergessen
33.
- wir schmückten uns mit dem süssen Reden der Schwachen
- Šimić Andrijica, die Befreierin der dalmatinischen Regionen
- glückliche Tage und zwei junge Menschen, die vergeben sind
- sie ist sechzehn wie ich
- Grossmutter mit der mündlichen Übermittlung von Weltwahrheiten
-
dann war Wally Neunzil nur fünf Monate in Šibenik
- Eurydike ist eine fiktive xy-Dyade
-
ihre Eigenschaften werden in Beziehung zu den Göttern bestimmt
- Stimme nach innen und aussen drängen
-
Erreichen der Idee der Perfektion
- Eurydike wurde vergewaltigt, von einer Schlange gebissen
- sie ist geistig und körperlich am Boden zerstört
- in der Hölle, die erst später beschrieben wurde,
- also projizieren wir sie in ihre unwirkliche Realität
- sie schwelgt im Selbstmitleid
- Durch die Gewalt der Umstände gerät sie noch tiefer in ihren Verfall
- Eurydike wartet auf Niemanden
- Sie umzingelt den Schmerz,
- der durch die kommenden Geschichten noch verstärkt werden kann
34.
- tägliche Nachrichten, die jeden kalt lassen
- kommen wir zu Orpheus
- zu Anima und dem Bild eines männlichen Gottes
- Er war am Rande des Glücks
- Glück wird durch die Sehnsucht des Herzens und des Körpers begründet
- Götter im Spiel
- sind gleich wie Menschen,
- nur etwas stärker
- Schauen wir uns Orpheus an
- die Bedingungen seiner Erziehung
- Idee
- blickt auf die Welt, in der immer etwas Seltsames passieren kann
35.
Grossmutter
- auf dem dlan
- auf der Hand
- liegt nur eine vage
- Vermutung
- ich sei
- ohne Wiedersehen zu sagen
- vorbei gekommen
- (zum letzten Mahl)
- Wildschweine
- lieben Wasser
- auch ihre kleinen
- aber es erübrigt sich zu reden in Rätseln
- Klarsicht
- folgt
- auf mystische
- Ernüchterung
36.
- Während ich schlafe
- baut im Kopf Obdachlosigkeit
- weiter ihre
- Abstecher
- das geflüsterte wahre
- umworbene
- schmilzt wie Zukunft zu
- dünnen Streifen
- weder Natur noch Mystik setzen sich
- in dein Herz lang
- sie verlassen ihre Bestimmungen mit jedem
- aufwachen
- und sag mal
- wird dich Nüchternheit in Anbetracht
- der Abreise
- noch aufhalten
37.
- Und als ich durch ging
- durch bekannten Schmerz
- und lebendig aufwachte
- das Herz wurde zubetoniert
- vorübergehend
- Freude
- übersprang von
- Pupillen des Hundes
- welcher mir die Beine leckte
- zu Orpheus
38.
Ana
- Ich wasche meine Kleidung mit etwas Seife
- Ich werde auch gross
- Ich werde eine Uhr tragen
- Stollen frisieren
- auf solche
- Haare sprühen
- mit einem Lack, der wird
- rote Augen
- voller Tränen
- weil es Milch für mich ist
- Meine Kinder werden benannt
- aus dem Radio
- Jovanka und Josip
- und überall reisen
39.
Testament Ana
- Gehabe ist alles was ich habe
- Erbin von leeren Versprechungen
- ich habe noch etwas Vorrat
- wird genug sein bis
- allgemeines Desaster
- wenn ich ohne böse Geister bleibe
- (das darf ich nicht mal denken)
- vielleicht wechselt meine Kleider eine
- kommende Hoffnung
- mit dem Vorrat an
- ausgeliehenen Träumen
40.
- Erinnerst mich an die Erbsünde
- ich warte damit du die Bitte, Drohung, Wunsch, Rat
- erfühlst in mir
- es verschmilzt in mir die Beischläferin
- Blutsaugerin
- unter dem Herzen
- kurz rasten wir
- in den grossen Spielraum der
- halbverrückt gewordenen Körper
41.
Wally Neuzil
- Wie wäre es am Beispiel die
- Reichweite zu beschreiben
- in jedem Fall könnte man Spitze der
- Magie erreichen im Gesetzlosen
- Raum der Farben
- Schwärze mein Gesicht
- (endlich)
- überbelastet von der überflüssigen Idee
- der Vollkommenheit
- der Unglückszahlen
- erkennst du auch aus der Ferne
- das Netz
- die intimen Blicke
42.
- Wünsche
- ich wäre Jemandes
- Ausnahme
- erstes Glied in der Kette
- damit er mich befreit von Angst schreiben
- ich habe ja meine beweglichen Brücken
- über mich, kann man nicht leicht
- übergehen
- (kalt und ruhig)
- Wenn nur derjenige käme welcher
- nicht
- in der Windrichtung
- tanzt
43.
Ana
- Alles ist am richtigen Platz
- ich packe mich nicht aus
- wie ich mich heute hinlege
- so decken sie mich zu
- Die grosse Gabe der Freude
- kam in mein Haus
- ich habe grosse Furcht
- ob ich geboren bin oder sterbe
- entschlossen ein für alle Mal
- Ich zu sein
44.
- in Anbetracht des Schweisses ihres Gesichts
- gebar sie
- Erdige
- aber noch mehr Meeres
- Unruhen
- ausgelassen, abgeschoben, ermüdet
- verlassen
- aufgewirbelt von Vorhandener
- Furcht
45.
- Ich verstecke dich,
- wenn sie kommen
- ich kann an alles denken
- ich weiss, es nützt dir nichts
- du setzt dich auf diese Seite
- mach es dir bequem
- öffne deine Seele voller Ameisen
- sie werden nicht entkommen
46.
- Gründe
- Existenz in mir
- Ich glaube Ihnen
- es ist nicht unerheblich
- aber du weisst
- man weiss nie
- Ehebruch ist kein gewinnendes Wort
- du kannst mich nicht loswerden
- während du in mir bist
- nur die
- Mauer
47.
- In der dritten Person Singular
- er sie es
- sind Plural
48.
- Schläger
- Ich habe einmal einen Mann geliebt
- war nicht der Hit des Sommers
- Er war nur meine Liebeswahrheit
- entstand aus
- der Quelle meines Schmerzes
- Herzen
- Ich habe mit ihm Schwalbe gespielt
- manchmal redete er so viel,
- dass er aufhörte zu atmen
- es waren keine denkwürdigen Worte
- Ich liess ihn davonfliegen
- wenn heute jemand in den Himmel schaut
- Ich könnte
- mit dem Finger zeigen auf einen Punkt
- und sagen
- da ist der da oben
- Mein Mannesbild
- nur ein Punkt
-
sei ER.
- Vor den Toren von Amiens teilt Martin seinen Mantel mit einem Armen. In der folgenden Nacht erscheint ihm, mit diesem Mantel bekleidet, Jesus selbst im Traum, um die ewige Gültigkeit der Worte aus dem Evangelium zu bestätigen: ,,Ich war nackt, und ihr habt mir Kleidung gegeben …“
Der hier publizierte Text ist noch nicht fertig. Nacktes Leben befindet sich noch in Arbeit und verändert sich.
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Linn Meier (†2019)
- Wenn die Wolken schwerer sind als du
- die Nischen dazwischen riesig
- Wenn nichts rauskommt aus dir
- Getreidefelder legen sich quer in dein Zimmer
- wenn die Tage fett und faul wie Brote sind
- Füllig und flächig wie Mond
- mondgesichtig wie dein schlimmstes Wesen im Traum
- Wesensverändernd wie dein Essen
- weswegen dus nicht isst
- weswegen du nicht das Gewicht vom Mond bist
- Nur einer von den Schatten
-
wenn du dort landen willst
- Wenn die Erde gar nicht so groß ist
- wenn die Alpen gar nicht so hoch sind
- wenn du alles kannst
- die Sicht reicht nicht weit
- aber du denkst sie reicht weit
- großer Wagen, kleiner Wagen
- locker kommst du an alles ran
Der abgedruckte Text ist ein Auszug aus Linn Meier (†2019). Der Text wurde von Martina Hefter gemeinsam mit den Musikern Timm Völker und Patrice Lipeb als Musik-Performance umgesetzt und kam in mehreren deutschen Städten zur Aufführung.
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tag : re : miniszenz mich mal
- freitag, 12.11.2022
- woche 6
- do /blütensturm grab um grab grüsste freundlich
- fr /idiosynkarasien arabisch französisch unverhofft nice weather today wie fallender brunnen hof um einige leuchten heftigster vollmond über tage kam ihr vor eine mondsucht und eine war da versammelten sich einige auf stadtdächern und sangen ihn an sahen fallende schatten einander als ein heulendes da
- sa /kleinster felder um teppichschulterritorien hotelzonen
- so /weg entwunden dem segelgewirk material
- mo /behält es sein kräftig leuchtendes blau
- di /anders anderes zu den farben zurück färben die wasser eingefaltet das ah so schön schon gar wieder dépaysé in rückwärtige mündlein geht münden geht munden ach du schlierenfreude mondschlieren von wundern zu munden brackwasser quellwasser flusswasser seewasser das programm geändert teilhabe aufgekündigt weiter weiter bastardin
-
mi /vergessenheit klarer gedankenlosigkeit heller gegenwärtigkeit rufe die antwort kein da und aus welchem bild heraus muss fortgesetzt werden alleweil alle weilen sie ich hin er und dazu die beiden grossen zehen leicht bewegen
- PREISSOCKEL
- SOCKELHÜLSE
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Aus: NEUROTIKON
- Ich habe einen musealen Saal, ein Kabinett der Gedanken, mit Vitrinen, worin meine Sammlung in minutiös sortierter Ordnung aufbewahrt und zur neugierigen Betrachtung aufbereitet ist. Die Exponate sind wie Schuppen hauchfeiner Schichten des Glimmers, durchsichtig, ephemer, schwerelos. Nur mit speziellen Pinzetten sind sie zu greifen, denn jede Berührung kann sie zerfallen lassen, jedes Ansetzen zu einer Berührung.
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Walpurgis
- Ich packe alten Groll, das Gezündel
- entfache ein kräftiges Feuer
- tanze um die Stelle
- stampfe die lehmige Erde fest
- renne und rufe
- renne und rufe in die Nacht
- Geister herbei!
- Hexen, Katzen, Ziegen
- die Erde fest
- Besen, Krallen, Hörner
- meine Worte
- Stichflammen im Nachthimmel
- bis in den Morgen folge ich ihnen
- und ist dieses Feuer erloschen
- steigt Rauch auf
- und sendet Signale
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Gedicht nach dem Abendbrot
- Die Königin weinte
- Subtexte von Glück
- dem Sperlingsvogel (v)iel
- eine Perle vom Kleid
- die Königin lachte
- ein schwarzgelber Käfer läuft quer hier durchs Bild
- Müdigkeit verwischt meine Schrift
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wegen dir
- wegen dir
- ich bin dein strandtier
- land dir eine welle
- helle möwe seelöwin
- bin flügel flossen träne
- fernweh in der mähne
- sehnsucht ohne ort nur
- ferner als fort bin tand
- im sand hier samttier
- hand dir voll herz
- bis zum rand stand
- steh‘ hier wegen dir
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Wintermorgen, diaphan
- die Bäume stehen leer …
- als feinster Dunst hängt Nebel
- in der Luft; und die Sonne milchigweiß,
- bleich wie der Mond am Himmel.
- Ist dem Moment zu trauen? Ungeschützte
- Augen können in die Sonne schauen!
- Die Kamera gezückt, gezoomt.
- Das Bild – beinah schwarzweiss – hält
- klar erkennbar zwei Sonnenflecken fest,
- zwei Magnetfelder sich dunkel von der
- Sonnenkugel abhebend. Der durchsichtige
- Dunst ist der perfekte Filter; mein Ich löst
- sich in Selbstvergessenheit
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Folgende Bedeutung
- Sein Lieblingswort ist das Gegenteil,
- das sich im richtigen Augenblick in Luft auflöst.
- Metaphysik, ruft er, ist die falsche Richtung –
- oder waren die Möglichkeiten, die ein Ich ergeben,
- schon immer diese ausgestopften Singvögel?
- Um herauszufinden, was die Gedanken
- miteinander verbindet, trägt er ein paar Hüte zuviel.
- Wenn er auf der Suche nach nichts ist,
- erwartet er einen angemessenen Finderlohn.
- Vom Etwas, ruft er, habe ich die Ahnung
- des Kochs von der Zwiebel der Vorstellung.
- Zugegeben, wer dem aktuellen Fragenkatalog folgt,
- tut das mit von Luft verbundenen Augen.
- Bis zur Schwerelosigkeit des Konjunktivs
- zähle ich in die Wochenmitte zurück.
- Sprich mit mir, solange die Landschaft
- als spontane Erscheinung vorbeizieht.
- Nein, ich bin nicht die Zusammenfassung,
- für Einzelheiten haben wir Gedichte.
- Ich sammle nur Aufmerksamkeiten.
- Wäre ich eine Sekunde, so gäbe es mich
- von Anfang an als Kollektion.
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der rauch
- der rauch
- von dem du hoffst
- dass er aufsteigt
- gesehen wird
- wie er in
- schieferschwaden
- am nachthimmel
- den neumond
- erstickt
- hängt in der
- kleidung der
- lunge brennt
- in den augen
- und doch
- nimmst du
- noch einmal
- den feuchten zunder
- die stöckchen
- und reibst
- dich an der
- möglichkeit
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min o taf re
- du stiergestalt
-
entsprungen wilder laune jener frau
-
es fragen alte mären
- der vielgeborne zefs
-
mäht all/es
-
brach der willenshuf
- glatt bleibt dein kopf
- glanz stets dein hals
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quellfragen
- wie nun der strahl
- sich staut
- & zittert
- vor lauter sehen
-
die augen weit
- bis ins nachtgebirge
- vorgedrungen, dort
- not
-
geschöpft aus zisternen
- unter dem flussbett
-
längst silberstrom
- wie nun der strahl
- die kelle höhlt
- der rute folgend
- wünsche am laufmeter
-
verwunschen überwindet
- der flut gerecht
- der ebbe gleich
- geworden
- dringliche lust der stelle
-
gefunden im bleib
- das rot rot
- rot das tal
- umschließend, stetes
- gefälle
- im taumel
- um sich greift
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signale
- es ist als hätten mich
- die flanierenden schnecken
- geweckt sie machen heute
- den garten zu ihrem park
- tragen zur feier der taulage
- ihre fühler stolz wie kronen
- und deuten auf meine radare
- in der wahrnehmung
- der schwebenden tropfen selten
- lieber eingezogen oder rostend
- an den enden knicken sie
- gelegentlich in eine falsche richtung
- mit baumwollschonern
- gegen den verdächtigen lärm
- wenn sie sich vor lauter signalen
- um 360 drehen und zurück
- zwirbeln bis sich alles spannt
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Ein
- samstag abend
- ich führe bewegungen aus
- manche geschmeidiger als sonstige
- und habe mich eben verschluckt
- an der gier nach kühlem wasser
- aus plastikflaschen
- wir haben doch alle keinerlei plan
- raunt mir chinowski ins ohr
- und das macht er gut wenigstens das
- denn
- es reicht nicht im mondlicht zu ersaufen
- nacht bleibt nacht
- die ahnungslosigkeit ubiquitär
- und hinter der nächsten pissecke
- lauert mein ich von voriger woche
- selbst wert fremd bestimmt
- however
- wenn du die menschen schon nicht lieben kannst
- röchelt hank die kippe im gesicht
- begegne ihnen mit freundlichem interesse
- dafür werden sie dich hassen
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medusa cryin' out for help
- “Individuals are never autonomous:
- they depend on external recognition.”
-
Sylvere Lotringer in Autonomia – Post-Political Politics
- so beute dich aus umschlinge deine leere
- ur cave ur home ur sad song about debris
- & eine aneinanderreihung hohler phrasen
- lehrt dich hinweg zu sehen ueber motives
- to act in certain ways ja unsere sehnsucht
- nach autonomie bedarf sie nicht etwa oft
- als gedicht der schlange vor der haeutung
- dringend eines publikumes halt wie every
- single move tends to exist only as long as
- someone is watching zwischen aufenthalt
- wahrscheinlichkeit & quantenmechanisch
- interpretierten klaerungsansaetzen liegen
- die spiele im verborgenen einer darkness
- that cannot be brightened greifst du bald
- zu & kriegst nichts zu fassen keine worte
- die sinn machten blosz rekombinationen
- abgeschmackter entwuerfe eben solcher
- anarchistisch angehauchter visionen dass
- jedwede verfolgung via staat & apparate
- sich reduzieren liesze auf eine alte farce
- deren lachen neben einem hals erstickte
- tragically lost behind human conditions
- u search for this world’s last true smiles
- & entdeckst du nur noch grosze spiegel
- mutierst du zu poroesen felsbestaenden
- rolling tumbling dreaming & screaming
- initiatin’ avalanches fuer die revolution
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Es ist
- Er sagt, viel Zeit ist vergangen.
- Sie schweigt. Er sagt, wir waren
- zu jung und unerfahren.
- Sie sagt, man ist immer
- zu jung oder zu alt.
- Das Schweigen setzt
- sich still dazwischen
- und findet keinen
- versöhnlichen
- Schlusssatz.
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SDÄMMERT
- Letzten Geburtstag schenkte mir jemand
- eine Opuntia consolea,
- um mit Stacheln
- wider mich zu sticheln. Ich
- behielt die Pflanze wohl über ein Jahr,
- in dem naturgemäß, wie mir schien,
- in der Welt alles schiefging.
- Doch schalt mich heute Morgen deswegen
- – ausgerechnet! –
- ein Vögelein:
- Es ist Morgen, wach auf,
- geh und schäl den Kaktus!
- Ists ein Traum?
- Ich schälte den Kaktus
- mit dem Stanleymesser
- und fraß ihn auf. Schmeckt
- nach Gurke, bin erstaunt.
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Streichholz
- November 1826, Stockton-on-Tees, Nordostengland,
- und John Walkers Rührstab brennt,
- er merkt es erst, als die Zeitung
- wie von selbst erzählt,
- dann das Haar des Kastorhuts
-
schon Feuer fängt.
- Man kennt es von den Katzen,
- dass sie ihre Köpfe
- an der unverputzten Hauswand reiben,
- dabei schnurren, fortan
- den Klang wie von einem aprikosengroßen
-
Drehmotor im Kehlkopf tragen.
- Doch springt vom Kopf des Tieres
- nichts wie dieses Flämmchen
- hier vom körnigen, roten Scheitel
- des Zündkopfs über
- auf die Lokalnachrichten
-
und den Biberfilz.
- Und nichts nimmt den Köpfchen ihr Verlangen
- zu entflammen im Windschatten
- einer hohlen Hand,
- Anfang oder Ende einer Geschichte zu sein,
- denkt Walker und notiert es
-
zwanzig Jahre später.
- Er notiert es an den Rand jener Zeilen,
- in denen der Schnee zwischen
- zwei Kopenhagener Häusern nicht aufhört,
- auf die abgebrannten Hölzer, auf das Haar, die nackten Füße
-
eines Mädchens zu fallen, das erfriert.
- In eine Zinndose passen hundert Stück
- zu einem Schilling und zwei Pence.
- Er vergisst sie zu patentieren.
- Die ersten Schwefelhölzer heißen
- nach einem Mr. Samuel Jones:
-
Jones’s Lucifer Matches.
- Walker wird sich eine Katze kaufen.
- Manchmal tröstet ihn
- ihr Phosphorzünglein auf der Hand.
- Im Hutdach trägt er ein gesengtes Loch,
- das bis durchs Futter geht.
- Das merkt er nur, wenn es regnet.
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Da capo con rep.
- sotto voce_teneramente
-
||: Jungvogel | zausig | im am Kopf | im blassen | Flausch | die Zotteln | sprungbereit | krumm | und als | Notat noch | dotternass | lieg | leg | reg | lass | mich |aufleben | mit blau | grün | geschwollenen | Augenkugeln | wind mich | blinder | Gedankenflug | im Stau | im Schutzraum |
- accelerando_capriccioso
-
Federn für tönende | Signifikanten geflügelte Reden | hörbar wortgewandte Ecriture | Federn führen fühle | eingeschnürter gestauchter | Kugelleib reibt sich | es beschreibt wölbend | meine Figur den steifen | partituresken engen Raum | von innen spannend | rissige Spuren Fugen | eingreifend reif drängt sie | exzentrisch
- concitato_agitato
-
der Schnabelspitz ritzt ausreizend aus meinem | sich ticktick Picken alles an mir gespreizt gestreckt in | Bewegung der Kopf der Hals sich brecherisch reckend drehend im | jähen Aufbruch gepochte expressive Seinszeichen perforieren Schale Zwänge | Fissuren sitzen chifferngleich klackklack im weißen Kalkulierten |
- incalzando_furioso
- Aufriss meiner taktlos lauten Existenz Entzwei Eiderdaus | Ausbruch Flügel Schlag Schlag Flügel Anfänge Spreng Spreng Engefühl und | Reste der Fessel Schaff Schaff aus Fliegkraft Flugkraft Fliehkraft schafft Flügel Schlag
con durezza
Schlag |
- ritardando_lentando
-
ins Gegen Gesicht | schlaff schales Gegenfühl | SchlagNiederSchlageschlagen | niedergeFängnis Gefang nicht wieder | an strangulierenden | Stangen und Stäben
- perdendo_al niente
-
Lebe nun | bloß im Anklang | flach atemlos | wieder krumm | im Liegen | seh | die Federkiele | nutzlos ruhn sie | im materiellen Leib | beiß mir | auf die zerschellende | stummpfe Zunge | im Ausklang ein flugloser Fluglotse | reiß sie | mir aus | die Kiele und Keile | und Beschreibe | mein Gefängnis | Versschreibe | Ferschreibe | -schreie | -mate :||
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Am Tag
Am Tag
- des Weltendes spricht Miłosz
- vom Summen der Biene
- flickt der Fischer sein Netz
- springen die Fische.
Jetzt
- da wir ihrer gedenken
- die da sind in den Lagern der Nacht
- von der Gischt ausgespuckte
- klingen die Worte hell
- wie Muscheln in meiner Hand.
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Nichts wie Morgen
- Starre mich selbst nieder
- Während das ewig selbe
- Haus vis-á-vis im
- Kaisergelb den Himmel
-
Ausbeutelt.
- Das Vertrauen erschüttert
- Im Traum Räume betreten wo
- Möbel in zimmermittiger Berghülle wie vorm Ausmalen
-
Mir Kahlheit und Fragen ins Erwachen legten.
- Beim Kaffee dann mit Oma geredet
- Bist wieder jung sag ich. Bei allen Lieben
-
Es gibt keinen Krieg.
- Der Radio rauscht
- Treibt den Faradayschen Käfig durchs Unwetter
- Die Sonne kommt raus. Die Nase läuft
- Die Zigarette schmeckt
- Das Bahnsignal diffundiert durch
- Samstag-Mittag-Sirene.
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Raumschiff
- In den frühen Morgenstunden
- sehe ich im Traum das Gedicht als
- Materie flüssig und zugleich fest
- wie Quecksilber. Wie es sich verändert
- und zugleich die Form bewahrt.
- Es ist noch dunkel Krähen hocken still
- im Gerippe der Bäume der Hund scheisst
- hinters Boot das schon seit Jahren
- am selben Fleck steht. Ich hole Brot
- später mache ich Feuer während
- es aufhört zu regnen. Du stehst
- im Türrahmen mit Motorenöl
- an den Händen. Quecksilber
- ist nur ein anderes Wort
- für den Gott des Tauschhandels.
- Florian kommt zu Besuch.
- Sein achtsamer Blick wärmt uns
- sein Verständnis für die Dinge.
- Wie wir in einem Raumschiff
- durch die Jahre gleiten ich wollte
- sie würden sichtbar ein Gemälde
- in das wir fallen Licht und Linien
- zwischen den Händen das Glimmen
- im Ofen alles zusammengeführt in
- einem Lächeln deinem verschlafenen Blick.
- Man würde auch sehen wie hell
- der Ginko leuchtet mit seinen vielen kleinen
- Blättern wie ein Angebot von morgens halb sieben
- bis abends kurz vor sechs. Unsere Tochter
- bringt den Hund zurück die Glut im Ofen
- erlöscht Kaffeeduft mischt sich in Florians Zigaretten.
- Das Öffnen und Schliessen der Zimmertüren
- in der Stille in der wir sitzen. Ich sehe
- wie etwas Zärtlichkeit von meinen Fingerspitzen
- ins Spülbecken fällt. Später
- fahren wir einkaufen über glänzende Strassen
- um uns Felder die Jahre
- eine Bewegung ins Licht als wäre sie
- niemals rückläufig
- als ginge es nur in eine Richtung
- und nie zurück.
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Frosch und Meer
- Bleiblau
- webte
- das Meer
- seine gelb umrandeten
-
Morgendämmerungen
- und ein Frosch
- mit seiner dämmerungsaktiven Stimme
- ließ das metallische
- Tropfen
- seines Gequakes
-
fallen.
- Offen
- das Unendliche
- zu meiner Rechten
- links
- der mathematische Punkt
- an dem ein Grünton
- aus rostigem
- Moos
-
losbricht.
- Allein. Zerstreut.
- Ein Vorhang
- kalt
- sagte ja … und nein …
- zu Gedanken
-
auf der Flucht.
- Und eine Tasse Tee
- vor meinen Augen
- war die einzige Schlinge
- die mich
- trauriges Tier
- an meine tödliche Kette band.
Sapo y mar
- Azul plomizo
- el mar
- tejía auroras
-
amarillas en el confín.
- Y un sapo
- sobre su voz
- crepuscular, dejaba
- caer el goterón
- metálico
-
de su habla.
- Abierto
- el infinito
- a mi derecha;
- a izquierda
- el punto matemático
- rompiendo
- en un verde
- de musgos
-
oxidados.
- Sola. Dispersa.
- Una cortina
- helada
- daba el sí … no …
- del pensamiento
-
huyente.
- Y una taza de té
- frente a mis ojos
- era el único lazo
- que me unía
- animal triste
- a mi mortal cadena.
Alfonsina Storni
Alfonsina Storni (1892-1938) schrieb Lyrik, Kolumnen, Erzählungen und Theaterstücke. Eine der wichtigsten Autorinnen Lateinamerikas vor 1939, die bekannteste Schweizerin, die nicht in einer Landessprache schrieb.Hildegard E. Keller
Germanistin, Hispanistin, langjährige Fernsehliteraturkritikerin (SRF, ORF), Schreibcoach und Stadtführerin («Kriminelles Zürich»). In ihrem Hannah-Arendt-Roman «Was wir scheinen», der auch im Tessin spielt, hat Alfonsina Storni als Lyrikerin einen Gastauftritt.Magazin für zeitgenössische Dichtung Magazin für zeitgenössische Dichtung Magazin für zeitgenössische Dichtung
manchmal
- waren die nächte kurz
- die morgen fern wie texas
- an geburtstagen booklets
- aus scharfkantigem kunstglas
- ans licht gezogen
- alle lieder
- bald par coeur
- pralle stunden
-
lärmende wunden
- dann wachst du auf
-
und es ist herbst in texas
- es ist herbst da draussen
- es ist herbst
- da drin
- ertastet text
- wie blindenschrift
- sur ton coeur
Magazin für zeitgenössische Dichtung Magazin für zeitgenössische Dichtung Magazin für zeitgenössische Dichtung
die Liebe in den Zeiten des Spätkapitalismus
I
- hast du denn jetzt einen Job?
- such dir doch bitte endlich einen Job
- du sollst dir einen Job suchen
- ja, du
- dich meine ich
- wen denn sonst?
- ohne Job brauchst du jedenfalls erst gar nicht nach Hause zu kommen
- also such dir endlich einen Job
- du sollst dir einen Job suchen,
- habe ich dir gesagt
- oder hast du schon einen Job?
- wenn du schon einen Job hast,
- dann brauchst du dir natürlich keinen Job zu suchen
- aber wenn du noch keinen Job hast,
- dann such dir bitte endlich einen
- ohne Job brauchst du jedenfalls erst gar nicht nach Hause zu kommen
- hörst du?
- komm ja nicht ohne Job nach Hause
- du sollst dir einen Job suchen,
- habe ich dir gesagt
- wenn du keinen Job hast,
- brauchst du erst gar nicht nach Hause zu kommen
- hörst du?
- komm ja nicht ohne Job nach Hause
- sonst muss ich die Sache mit uns leider beenden
- also überleg dir bitte genau,
- was du als nächstes tust
- aber ohne Job läuft zwischen uns bald schon gar nichts mehr
- also such dir endlich einen Job
- du sollst dir einen Job suchen,
- habe ich dir gesagt
- oder hast du schon einen Job?
II oder: ich liebe dich
- ich liebe dich
- aber warum liebe ich dich?
- warum liebe ich nicht jemand anderes?
- und warum liebe ich überhaupt?
- warum hasse ich nicht?
- und warum hasse ich nicht dich?
- warum liebe ich dich?
- und warum liebst du mich nicht?
- warum wirst du von mir geliebt?
- und warum liebt dich nicht jemand anderes?
- warum lässt du dich von mir lieben?
- und warum tust du nichts dagegen?
- warum hasst du mich nicht?
- und warum hasst du generell niemanden?
- warum liebe ich dich?
- und warum liebe ich mich nicht?
- ich liebe dich
- aber warum liebe ich dich?
III oder: letzte Erledigungen vor dem Untergang
- im Garten arbeiten
- online sein
- shoppen
- vor dem Fernseher sitzen
- Rätsel lösen
- Bücher lesen
- essen gehen
- Computerspiele spielen
- Musik hören
- heimwerken
- ins Fitnessstudio gehen
- Filme schauen
- wandern gehen
- joggen
- Gesellschaftsspiele spielen
- in die Sauna gehen
- basteln oder töpfern
- Clubs besuchen
- schwimmen gehen
- Mountainbike fahren
- Fußball spielen
- Yoga machen
- Rennrad fahren
- campen
- Tennis spielen
- Freizeitparks besuchen
- Fotos und Videos machen
- reiten
- Roller- oder Inlineskates fahren
- auf Skiern unterwegs sein
- angeln gehen
- bergsteigen
- schreiben
- spazieren gehen
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vademecum
- trink vom tau
- der auf traubenblau
- glitzert
- hör was der schwere
- brokat erzählt
- lies die lautlosen silben
- von den schimmernden
- muschelrändern
- riech den duft der lilie
- und nimm den toten
- vogel in die hand
- dann leg alles zurück
- ins bild, erst jetzt
- geh weiter
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Erste Tropfen
- Erste Tropfen: Dodola
- melkt ihre himmlischen Kühe
- Stratus Altostratus ihre prallen Bäuche
- die dräuenden Euter. Dodola legt sich
- ins Zeug zieht die Zitzen lang: Regen
- prasselt strömt ergiesst sich in Bächen
- Der Verkehr stockt Sirenen Blaulicht
- eine Windhose über dem See oj oj dodo
- genug jetzt zieh ab mit deiner Herde
- Dodole!
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ich hab dir nichts versprochen
- nur ein paar schritte
- durchs fegefeuer
-
kalt hatten wir nie
- nur eine hand voll
- schnee im licht
-
wir tranken das wasser
- nur eine amsel
- gesang vom baum
-
wir entwurzelten ihn
- das feuer brannte
- fegte über die worte
-
funken streunten durch die asche
- unsere augen tränten im rauch
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#mond:klick
- ich
- hab
-
den mond
- für dich
- fest
-
gehalten
- mit
- einem
-
klick
- schnell
- fest
-
gehalten
-
für dich
- bevor
- er
-
sich
- wieder
- hinter
-
den wolken
-
wegversteckt
- augen
- blick
-
klick
- ich
- hab
-
ihn
- fotografiert
- im
-
lebensbuntalbum
-
für dich
- jetzt
- hat
-
ihn
- das
- netz
-
geschluckt
- jetzt
- hat
-
er sich
- doch
- weg
-
versteckt
- in
- der
-
cloud
- schwarzes
- dis
-
play
- nur
- ein milch
-
fleck
- erinnert
- noch
-
dran
- wie sehr
- du
- an ihm hängst
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Marcel Duchamp, Gemälde verbessert
- Gemälde
- Gemälde und Treppe
- Treppe
- Treppe und Akt
- Gemälde
- Gemälde und Akt
- Akt, eine Treppe herabsteigend und Millionen Bewunderer.
- Akt
- von Marcel übermalt
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für fm, wien,
10.09.2022,
28.01.2022,
26.10.2021
«Ornithologie»
- aus dem
-
gumpendorfhinterhof
- poetischsprachkunst
- may i kiss your klit
- c. gewidmet
- krähe türkentaube
- kohlmeise turmfalke
- stieglitz sperling
- buntspecht zaunkönig
- grünfink grasmücke
- rotkehlchen
- mauersegler
- reiher enten möwen
- stadttaube käuzchen
- nachtigall amsel
- & rotschwänzchen
«habe mich in die NATUR verknallt,
habe mich in die KUNST verknallt»
- offenweisze lilienblüten
- dein foto im kranichauffliegen
- vulvablut gefrornes taut in bildern
- exposed to each other
- in you
- in love with you
- you precious kind creature
- me precious kind creature
- let’s fall in love
«ich schmeckte diese Erfüllung
von Sprache»
I
- das lieben & leben des poetischseins
- souvenance de anouar brahem
- thank you for peace
- tanzen wesen
- tanzen wesen
- oh we are alivecats
- im schmiegen
- fürs sein
- thank you for all presence
- danke lau & soulfriends
- danke für frieden danke für
- freudvollmiteinandertanzen
- i love you kindcreatures
- let’s dance the universe alive
- let’s dance freedom
- let’s dance souvenance
II
- und ich weinte und weinte
- dich friederike nicht mehr
- «ich schmecke diese
- Erfüllung von Sprache»
- und ich weine
- unsere kostbaren augenblicke
- die poetischen umarmungen
- miss you always
- miss you always
-
with every poem i write
- Alle Zitate entnommen aus Friederike Mayröcker: «da ich morgens und moosgrün. Ans Fenster trete.» (2020, Suhrkamp).
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später
- Etwas geht etwas voraus, wenn eine Tür ins Schloss knallt, wenn der Apfel aus der Hand unter den Stuhl rollt. Ob heftiger Wind im Spiel war oder Zorn. Er oder Sie oder Es kann bange werden. Er oder Sie oder Es kann aufbegehren. Ich will guten Morgen sagen, die Hand reichen. Ich will den Blumen frisches Wasser geben. Den Schatten sehen. Ein Mann, der eine Frau ist, hat anderes im Sinn. Sie duckt sich hinter den Wartenden am Fußgängerstreifen und überquert grußlos die Straße. Eine spätere Begegnung bringt dich zu betagten Sätzen. Es gibt die langsame Zeit, sage ich. Du greifst mit der Hand über die Stirn ins dünn gewordene Haar.
eins
-
viele Dinge im großen Glas
-
fingerstelzen, es klirrt
-
In der Büchse liegen Kekse. Der dampfende Kaffee überdeckt deren süßen Duft. Ich erschrecke über meinen zufälligen Blick in den Spiegel, über die erdwärts geneigten Mundwinkel. Wenn Konkaves Bedrängtes meint, sagst du. Niemand weiss Genaueres. Man könnte zuversichtlich sein, obwohl viele auf Widerruf vor ihren Bildschirmen sitzen. Einer hat im Glücksspiel gewonnen. Viel ist es nicht, sagst du. Trotzdem wunderst du dich über Unerwartetes, das dir jeden Tag über den Weg läuft. Ich wundere mich über die Verhältnisse zwischen Menschen und Dingen, sage ich.
zwei
-
ein Lippenstift, ein runder Klappspiegel
-
rubinrot geküsst
-
Es gibt träumen am helllichten Tag. Wenn man liebt, ist alles von Bedeutung. Die Furcht, etwas zu zerstören, was unvergleichlich ist, auch wenn sie nur im Kopf aufscheint, kann den Tag verdunkeln. Kofferzustand. Sie hat mir einen Kuss gegeben, sagst du. Ich interessiere mich für Nebensächliches. Verdachter Reiz. Im winzigen Haus am See stehen die gestapelten Stühle neben dem Klapptisch und dem gefalteten Sonnenschirm. In den Ästen der Buchen schwarzweißes Krächzen, als wäre Empörung im Spiel. Auf der Landstraße die vorbeifahrenden Autos. Was alles überrollt wird, sage ich.
drei
-
eine kleine Flasche mit Zerstäuber
-
auf die Haut gezischt
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Mitten im Bewerbungsgespräch
- rutschte ich zur Seite
- und hielt das Leben mit einem Bleistift an
- halbem Sandwich, dampfendem Kaffee
- mit dem Lärm vorbeifahrender Autos
- im Turm zu Babel, da hinauf nur
- ein paar Stufen noch, dann
- werde ich niemals allein
- sein, sondern leben
- auf einem Blatt
- Pa
- pi
- er
בְּרֶגַע אֶמְצַע רֵאָיוֹן עֲבוֹדָה, אֲנִי זַזְתִּי הַצִּדָּה
- וְעָצַרְתִּי אֶת הַחַיִּים עִם עִפָּרוֹן
- חֵצִי סֶנְדְּוִיץ’ וְקָפֶה מַהְבִּיל
- רְעָשִׁים שֶׁל מְכוֹנוֹת,
- מִגְדַּל בָּבֶל, חֶדֶר
- מַדְרֵגוֹת וַאֲנִי
- אַף פַּעַם לֹא
- לְבַד, חַי
- עַל הַ
- דַּף
Mati Shemoelof
Arabisch-jüdischer Autor aus Haifa in Israel, lebt seit einigen Jahren in Berlin. Zahlreiche Veröffentlichungen, die meisten davon Gedichtbände, aber auch Prosa und Essays. Zuletzt auf Deutsch: «Baghdad. Haifa. Berlin.» (2019, Aphorisma, Übers. Jan Kühne).Jan Kühne
geb. 1978 in Dresden, Studium in Heidelberg, Wien und Jerusalem, wo er seit 2005 lebt. Forscht zu simultaner Mehrsprachigkeit am Franz Rosenzweig Minerva Forschungszentrum für Deutsch-Jüdische Literatur und Kulturgeschichte der Hebräischen Universität, an der er auch unterrichtet. Zuletzt «Die zionistische Komödie im Drama Sammy Gronemanns» (2020, De Gruyter).Magazin für zeitgenössische Dichtung Magazin für zeitgenössische Dichtung Magazin für zeitgenössische Dichtung
die Gehirnerschütterung
- der Mann schaute nicht einmal auf schlug nur zu
- er zielte nicht das war nicht nötig ich war da drinnen
- nun Schleier und Blut 1 Gehirnerschütterung Kirschblüten unter
- der Kopfhaut warme Knospen wie Augen die aufklappten beim Aufprall
- die flüssigen Herzen zerreiben am Knochen es wird schwer ich bin weg
- aus der Blutlache rette ich einen Gedanken nur : er zielt nicht denn das ist
- nicht nötig ich bin da unten mein Mund mit Blut er löst sich wie eine Frucht
- und er platzt das stört mich die Sätze fallen Rippen Zähne das ist nötig so oder so
- und nun kommt ein Bekenntnis mein Gott ich lege es zwischen die Lippen wie man
- eine Rose in ein offenes Grab sinken lässt trage es in der dunklen Erde es liegt mitten in
- meinem Gesicht : dort heisst es : dieser Mann hier ja er tritt mich und ich gehe nicht –
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von ribbentrop meldet sich: warum immer die deutschen!? den schuh will ich mir nicht anziehen!
- von ribbentrop sitzt in der ersten reihe, meine lesung ist grad vorbei
- er hat einen safarihut auf und gestopfte pfeife schon im mund:
- ich will mir den schuh nicht anziehen grah grah räusperräusper graaah
- mit tränen in augen vor wut: schlechter text von breyger! schlechter text!
- die italiener sind AUCH schlimm, die franzosen sind AUCH schlimm, die
- timbuktaner, tibetaner, mandariner, apfelsiner, die aliens sind AUCH schlimm
-
usw
- ich habe 2 kinder, ihr riskiert einen atomkrieg, wer denkt an meine kinder
- (witzig, weils im text u.a. darum ging, dass die deutschen friedensengel
- deutsche leben den ausländischen vorziehen)
- als vatergefühle verständlich, nicht böse also, nur ziemlich kurz gedacht
- weils ja die selben eignen kinder dran sind, nachdem russland
- seinen krieg in der ukraine gewonnen hat und mitm baltikum fertig ist
- keine waffen an die ukraine graaah grah, putin könnte das werten
- als kriegseintritt! (weil er mit seinem gesetzbuch dasitzt
- und zehn beratern und die bei tasse tee gemeinsam rechtlich deuten
-
was kriegseintritt ist und was nicht)
- von ribbentrop schreit und tobt, diskussion im publikum
- gefällt mir zuerst, macht spaß, bald dann nicht mehr
- ich schaffe es, ruhig zu bleiben, obwohl ich innerlich heule
- gefühl, als würden die organe nacheinander implodieren
- gewicht, dass in den körper zieht, von unten nach oben
- nach der lesung sag ich ihm: egal, was du erzählst, ich mag dich trotzdem
- und da sind wir beide erleichtert
- ich würd sagen, man mag sagen, was man will, aber bei ihm denk ich:
- integrer mensch
- hat durchaus seine themen, aber integrer mensch
-
und darauf kommt es am ende an
- abends sitz ich im restaurant und sprech ein wenig russisch
- da fällt mir ein, 2 sprachen sprech ich jetzt
- deutsch, russisch
- einmal die, die meine leute massengemordet
- einmal die, die in deren fußstapfen treten wollen und meine andren leute
- umbringen
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Wie im Traum
- Zapfen von Blut (Seelen gekritzelt
- Auf Nadeln): Schicksale & Opfer-
- Büchsen aus Lagern & Zelten (Zellen)
- Von Gewissenlosen mit gewaltigen
- Schuhen über die Grenze getreten und
- Ins Gesicht.
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Absage an diese Zufälligkeiten
- Jedes Erwachen birgt neue Risiken
- ein vergessenes Bauklötzchen
- auf dem barfüßigen Toilettengang
-
und der Tag ist gelaufen
- Dann fallen Blumentöpfe von Simsen
- ehe die Schirme aufgespannt sind
- und unser Kollege fehlt auf der Arbeit
-
die dann für uns liegen bleibt
- Solange wir verkatert bleiben
- ständig Teesäcke mit Seebeuteln verwechseln
- bleiben unsere Tassen verstopft
-
und auf Reisen fehlt frische Wäsche
- Keine trolligen Nachrichten mehr
- keine anonymen Kommentare
- stattdessen Abreißkalender
-
auf jedem Blatt derselbe Spruch
- Behaltet eure Kontogebühren im Auge
- berechnet eure Orgasmuskurven auch hinterm Komma
- lasst euch nicht von Freundlichkeiten überraschen
-
geht nicht ohne Warnwesten aus dem Haus
- Ich möchte in Ruhe sterben
- dreißig Jahre nach der ersten Diagnose
- schmerzfrei und wetterunabhängig
- ohne noch einmal aufgewacht zu sein
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24/7
- Superchargeur 24/7
- doch wir sind zu beschäftigt
- das Auto zu laden
- schweben auf mit Regen gefüllten Wolken
- trennen Weisses von Buntem
-
tauschen den Adapter gegen Brot
- Meeresrauschen 24/7
- doch wir sind zu beschäftigt
- um am Strand zu spazieren
- Magnesiumtabletten in Kohlensäurewasser
- wir werfen im Kinosaal
- mit Popcorn um uns
- treffen die Leinwand und Girlcrush
-
Léa Seydoux
- Ferienstimmung 24/7
- doch wir sind zu beschäftigt
- um es zu geniessen
- wünschen uns weniger Salvini
- dafür mehr veganes Tiramisu
- wünschen uns weniger Bolsonaro
-
dafür mehr Orang-Utans
- Superchargeur 24/7
- doch wir sind zu beschäftigt
- um das Auto zu laden
- jagen Sektenanführer und unbezahlte Rechnungen
- tauschen unselige Nachrichten
- gegen den lichtverschmutzten Sternenhimmel
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BAAT
CHAM
DAO
- Doppelmesser-Form
-
Südchinesisches Kung-Fu
- Lichtzeichnende Farben
- Spitz fallender Blätter
- Im Hügelland
- Verschwiegene Dörfer
- Totes Geäst - drohend
- Und uralt wie die Faust
- Das Recht der Knochenbrecher
-
Das Doppelmesser
- Im Versteck meiner Ärmel
- Blitz ohne Donner
- Gestalten fallen
- Aus den Schritten
- Der letzten Form
- Verspiegeltes Blut
- Im Mondlicht
- Spiegelndes Eis
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Opfer der Hautesser
- :
- Opfer
-
der Hautesser
- Augen aus
-
Glas
- schon in der Schule
-
verarschte man dich
- wegen deines Achselhaars
- oder aber der zu kleinen
-
Brüste
- um mit
- niemandem zu reden
-
hattest du deine
- Strategien: Buch lesen
- Klo gehen
-
Semmel essen
- man schlug dich
- am Gang
-
bis dein Bruder kam
- du stopftest dir
-
den BH aus
- mit Watte: half nix
-
jeder lachte
-
dich aus
- später die
-
Männer:
- deine Aufesser
-
Hautesser
- du kauertest dich in
- ihre Schale: einmal
- zweimal
-
dreimal Ich
- weggeatmet: wenn sie
- eingebildet waren sagtest
-
du immer sie hätten
- einen Minderwertigkeits
-
Komplex und
- liebtest
-
sie weiter bis
-
Blut kam
- noch heute ziehst
-
du dir deine Schatten an
- lässt dich schlagen
-
um nicht gleich
-
wegzusterben
- Opfer der
- Hautesser
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reihen, folgen
parlanDO UT DES
alpha
- raben haben
- lachen machen
- maden laden
- grafen trafen
- sagen lagen
- schinakeln rakeln
- malen mit walen
- damen samen
- fahnen mahnen
- kapern apern
- waren sparen
- asen rasen
- penaten verraten
- katzen ratzen
- auen sauen
- agaven versklaven
- haxln kraxln
- leiden meiden
- spazien für grazien
beta
- haben raben
- machen lachen
- laden maden
- trafen grafen
- lagen sagen
- rakeln schinakeln
- mit walen malen
- samen damen
- mahnen fahnen
- apern kapern
- sparen waren
- rasen asen
- verraten penaten
- ratzen katzen
- sauen auen
- versklaven agaven
- kraxln haxln
- meiden leiden
- für grazien spazien
gamma
- spazien haben
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- mit walen haxln
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Morphium
- O, du gütiges Morphium, nimm mir meine Ängste.
- Laß mich träumen von den glücklichen Tagen meiner Kindheit.
- Gib mir den Geliebten meiner Jugend.
- Führe mich in die Wälder meiner Heimat.
- Führe mich auf die Zinnen von nôtre dame.
- Zeige mir die Herrlichkeiten der Welt.
- Gib mir den Glauben an Gott.
- Gib mir die ewige Ruhe. Amen.
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Das Einhorn
- Der Pfauen Pracht,
- Blau, grün und gülden, blühte in Dämmerung
- Tropischer Wipfelwirrnis, und graue Affen
- Fletschten und zankten, hangelten, tummelten, balgten sich im Geschlinge.
- Der große Tiger, geduckt, zuckte die Kralle, starrte, verhielt,
- Als das stumme seltsame Wild durch seine indischen Wälder floh,
-
Westwärts zum Meere.
-
Das Einhorn.
- Seine Hufe schlugen die Flut
- Leicht, nur spielend. Wogen bäumten sich
- Übermütig,
- Und es lief mit der wichernd springenden, jagenden silbermähnigen Herde.
- Über ihnen
- Schrieb Flug schwarzer Störche eilige Rätselzeichen an den Himmel Arabiens,
- Der mit sinkender Sonne eine Fruchtschale bot:
- Gelbe Birnen, gerötete Apfel,
- Pfirsich, Orange und prangende Trauben,
- Scheiben reifer Melone.
- Schwarze Felsen glommen im Untergange,
- Amethystene Burgen,
- Weiße glühten, verzauberte Schlösser aus Karneol und Topas.
-
Spät hingen Rosennebel über den taubenfarb dunkelnden Wassern der Bucht.
-
Das Einhorn.
- Seine Hufe wirbelten Sand,
- Der lautlos stäubte, Es sah
- Einsame Städte, bleich, mit Kuppel und Minarett und den Steinen der Leichenfelder
- Schweigend unter dem klingenden Monde.
- Es sah
- Trümmer, verlassene Stätten, nur von Geistern behaust, in funkelnder Finsternis
- Unter kalten Gestirnen.
- Einmal lockte der Wüstenkauz,
- Und im Fernen heulten Schakale klagend;
- Hyänen lachten.
- Am Eingang des Zeltes unter der Dattelpalme
-
Hob das weiße syrische Dromedar träumend den kleinen Kopf, und seine Glocke tönte.
-
Vorüber das Einhorn, vorüber.
- Denn seine leichten, flüchtigen Füße kamen weither aus dem Goldlande Ophir,
- Und aus seinen Augen glitzerten Blicke der Schlangen, die des Beschwörers Flöte aus Körben tauchen, gaukeln und tanzen heißt,
- Doch das steile Horn seiner Stirnmitte goß sanfteres Licht, milchig schimmerndes,
- Uber die nackten Hände und weich umschleierten Brüste der Frau,
- Die da stand
-
Zwischen Mannasträuchern
- Ihr Gruß:
- Demut
- Und der stille Glanz tiefer, wartender Augen
- Und ein Hauchen, leise quellendes Murmeln des Mundes, —
- Brunnen in Nacht.
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Andenken
- Wenn der Abend so wunderbar blau und dunkel
- In den Bäumen hängt,
- Der runde Mond fern und golden über der Erde schwebt,
-
Bist du mir nah.
- Deine schmalen Hände behüten mit inniger Sorgfalt
- Die Reliquien unserer Liebe,
-
Zarte Gebilde süßer Erinnerungen.
- Leise öffnet sich das Fenster.
- Meine Augen folgen den Sternen,
- Aber unfaßbar ist alle Ewigkeit,
- Angefüllt mit Schauer und den Fragen nach Verstorbenen.
-
Dem stillen Weinen ungeborener Kindlein.
- Von Unendlichkeit verwirrt,
- Sinke ich an das braune Kreuz des Fensters.
-
Leise bete ich deinen Namen.
- Ich weiß dich im einsamen Zimmer,
- Träumend bei einer Kerze.
- Um deinen Mund ein todnahes Lächeln.
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Ein Buch
- Aus deinen Zeilen steigt Melancholie
- dein abgegriffener Einband sagt Verzicht,
- und dein Papier wird gelb vom Sonnenlicht.
- In deinen Blättern rauscht die Einsamkeit.
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Listiger schneidet das Leben
- Listiger schneidet das Leben
- seinen betäubenden Willen
- Menschen durch Auge und Sinn
- als unser Stolz sich versieht.
- Heute noch ging ich den leichten Pfad
- durch die Gänge des Frühlings
- Wundersam Freude geneigt
- spielend mit Welten der Kraft.
- Nah da am Zaun schlug die Lippe ganz so
- ein Ästlein vom Flieder
- Wie einst im Gärtchen das Kind •
- Träne so rinne denn hin.
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Sieben Septillionen Jahre
- Sieben Septillionen Jahre
-
zählte ich die Meilensteine am Rande der Milchstrasse.
-
Sie endeten nicht.
- Myriaden Aeonen
-
versank ich in die Wunder eines einzigen Thautröpfchens.
-
Es erschlossen sich immer neue.
-
Mein Herz erzitterte!
- Selig ins Moos
-
streckte ich mich und wurde Erde.
- Jetzt ranken Brombeeren
- über mir,
- auf einem sich wiegenden Schlehdornzweig
-
zwitschert ein Rotkehlchen.
- Aus meiner Brust
- springt fröhlich ein Quell,
- aus meinem Schädel
- wachsen Blumen.
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Müdes Lied
- Ich möchte schlafen, denn ich bin so müd,
- und so müd und wund ist mein Glück.
- Ich bin so allein – selbst mein liebstes Lied
-
ist fort und will nicht mehr zurück.
- Schlaf’ ich einmal, so träume ich auch,
- und Träume sind so wunderschön.
- Sie zaubern einen lächelnden Hauch
-
auch übers schwerste Geschehn.
- Träume tragen Vergessen mit sich
- und schillernden bunten Tand.
- Wer weiß es – vielleicht auch bannen sie mich
-
für ewig in ihr Land.
- 23.12.1941
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Credo
- Es ist mein Amt nicht zu vermaledei’n.
- Zum Trost berufen, aber nicht zum Fluche,
- ist es mein armes Teil, wenn ich versuche,
-
im allerengsten Rahmen gut zu sein.
- Was auch an Leiden die Geschichte buche,
- den großen Sündern möge Gott verzeih’n. -
- Ich zeichne an des Bildes Rand mich ein,
-
mit seinem Inhalt stumm im Widerspruche.
- Denn wie der Sperling ohne Unterlaß
- im Abfall pickend seine Nahrung findet,
-
so such’ auch ich in einer Welt voll Haß
- nach Liebe, die uns tiefgeheim verbindet.
- Und davon leb’ ich, - mich erhält nur das:
- Ich liebe, - und wer liebt, der überwindet.
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Das Perlgewebe
- Ich sitze dunkle Frau in meinem Zimmer,
- stille, dunkle, große Frau.
- Weiß ist das Zimmer, weit seine Wände;
- weiß ist mein Kleid, mein Webstuhl weiß.
- Und vor mir buntgehäuft ein Schatz Perlschnüre.
-
Was will ich dunkle Frau denn weben? – Mein Leben.
- Weiß, weiß und golden sind die Farben meiner Jugend,
- ein morgenblauer Himmel über mir.
- Himmelschlüssel blühn auf unsern Wiesen.
- Viele kleine Blumen will ich weben,
- zart ein glückliches Lachen dazwischen,
-
Alles leuchtet dem spielenden Kind.
- Mutter starb. Die Farben werden blasser.
- Dunkle Trauerzweige sprießen auf,
- schwanke Linien aus flimmerndem Grund,
- Thränen glitzern, Sehnsuchtsthränen.
- Kind, ich große Frau möcht gern dich trösten;
-
sieh, ich setz ein funkelnd Sternlein über dich.
- Und nun mischen sich die bunten Perlen:
- stolz und heftig schießt ein Blutrot hoch
- durch ein trotziges Gelb in schroffen Kanten,
- hell im Kampf mit strengen grauen Mächten
- bäumt die aufwärtsflammende Seele sich:
-
rot und golden sind die Farben dieser Jungfrau.
- Und aus Rot und Gold paart sich ein Schrei nach Liebe.
- Rosen blühn aus meinen Händen auf,
- jeder Kelch voll Tau und Sonnentraum.
- Schwer in Büscheln rankt sich ein Clematisstrauch
- um die Rosen lilasanft ins Blaue;
-
die Verheißung glüht aus allen Blüten.
- Die Erfüllung log. Nun wirren sich die Fäden.
- Fahl und grell verschlingen sich die Schnüre.
- Jeder Weg ein Irrweg, und kein Kreis geschlossen.
- Zuchtlos drängt sich wildes Gestrüpp
- über meine Wiesen, meinen Blumenteppich;
-
und der Stern der Mutter birgt sich hinter Nebeln.
- Da – ein klarer Klang: stark: eines Helden Ton.
- Schwarz wie der Ursprung, golden wie das Licht,
-
und moosgrün wie der Wald, aus dem die ersten Menschen kamen.
- Auch blau sein Himmel, aber mittagsblau;
- auch rot sein Blut, doch nordlichtnächtig rot.
-
Und über Alles breitet sich sein Glanz.
- O wie sich unsre Farben herrlich einen:
- Leere wird Fülle, und sie strömt wie Quellen,
- aus ihren Fluten steigt des Schöpfungstages Feste,
- mein Stern strahlt durch des Weltbaums Blütenäste –
- So kann ich meine Träume und mein Leben
- zum Werk verwebt in Gottes Hände geben.
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