Folgende Bedeutung

31. Januar 2023
  • Sein Lieblingswort ist das Gegenteil,
  • das sich im richtigen Augenblick in Luft auflöst.
  • Metaphysik, ruft er, ist die falsche Richtung –
  • oder waren die Möglichkeiten, die ein Ich ergeben,
  • schon immer diese ausgestopften Singvögel?
  • Um herauszufinden, was die Gedanken
  • miteinander verbindet, trägt er ein paar Hüte zuviel.
  • Wenn er auf der Suche nach nichts ist,
  • erwartet er einen angemessenen Finderlohn.
  • Vom Etwas, ruft er, habe ich die Ahnung
  • des Kochs von der Zwiebel der Vorstellung.
  • Zugegeben, wer dem aktuellen Fragenkatalog folgt,
  • tut das mit von Luft verbundenen Augen.
  • Bis zur Schwerelosigkeit des Konjunktivs
  • zähle ich in die Wochenmitte zurück.
  • Sprich mit mir, solange die Landschaft
  • als spontane Erscheinung vorbeizieht.
  • Nein, ich bin nicht die Zusammenfassung,
  • für Einzelheiten haben wir Gedichte.
  • Ich sammle nur Aufmerksamkeiten.
  • Wäre ich eine Sekunde, so gäbe es mich
  • von Anfang an als Kollektion.
geb. 1960 in Reiden Luzern, wohnt in Andwil St.Gallen und arbeitet als Verlagsleiter in Teufen Appenzell Ausserrhoden. Seit 1980 Publikation mehrerer Gedichtbände. Zuletzt «Das Alphabet des Archaeopteryx» (2022, Caracol).

Magazin für Wort Magazin für Wort Magazin für Wort

Bedeutungen zur Folge

In sich konsequent folgt die folgende Bedeutung in Clemens Umbrichts Gedicht immer aus dem vorausgegangenen Satz: In dieser Argumentskette lösen sich auch die vermeintlichen Gegensätze und metaphorischen Vermengungen in sich selbst auf. Bereits der erste Satz «Sein Lieblingswort ist das Gegenteil, / das sich im richtigen Augenblick in Luft auflöst» zieht dieses Argument auf. Das «Gegenteil» wird als Wort eingeführt, sogar als Lieblingswort. Wörtlich genommen hat damit der folgende Nebensatz keine Bedeutung mehr, die metaphysische Qualität, sich im richtigen Moment in Luft aufzulösen, kann ein Wort – auch ein Lieblingswort – nicht besitzen. Nehmen wir das Gegenteil aber wörtlich, also seiner Bedeutung entsprechend, ist der Nebensatz nur konsequent, auch wenn wir nicht wissen können, ob nun die tatsächliche Aussage, also die Luftauslösung, oder dessen Gegenteil gemeint sind. Der Titel ist also Programm: Die folgende Bedeutung lässt sich aus dem vorausgegangenen erklären, welches aber wiederum nur Bedeutung erlangt, wenn man das nachfolgende genau studiert. In dieser Wechselwirkung entfaltet das Gedicht einen wahren Strom an erstinstanzlichen Unsinnigkeiten, die sich je nach Lesart – vor- oder rückwärts – wieder anders zusammensetzen lassen. Clemens Umbricht belässt es aber nicht bei dieser bedeutungsschwangeren Spielerei, das Gedicht ist durchsetzt mit Humor und feinen Beobachtungen, die sich immer wieder durch das Spiel zwischen – um hier den guten alten Ferdinand zu bemühen – Signifikat und Signifikant auszeichnen. Und so folgt auch der multiple Hutträger einer konsequenten Logik, die uns vom Gedicht aufgezwungen wird: Um es zu verstehen Um es in seinen verschiedenen Dimensionen zu erfassen, sind wir als Leser:innen gezwungen, uns durch die erschaffenen Körper im dreidimensionalen Raum zu bewegen. Die sprachliche Finesse geht dabei aber keineswegs verloren und so ist auch das Schlusswort nicht nur in der Analyse seiner Bedeutung interessant, sondern auch in seiner sprachlichen Qualität: «Wäre ich eine Sekunde, so gäbe es mich/ von Anfang an als Kollektion.»

Nick Lüthi

Schreibt und spricht über Bücher aus unabhängigen Verlagen für diverse Medien. Veröffentlichung von Gedichten in diversen Literaturzeitschriften.

Magazin für Monolog Magazin für Alltag Magazin für Monolog