Die Linien
- Man sieht es genau; die Linien gehen spazieren
- auf dem weißausgelegten Feld, noch wird keine Richtung
- verraten, noch nicht sprüht es Farben, elegante,
- filigrane Gebilde, Pilger zu den Geheimstätten
- Tiefspuren hinterlassend. Ein Wink von der Seite,
- wie die aufgescheuchten Puppen beginnen sie zu laufen,
- kreuz und quer durch die leichtgewellte Ebene verbiegen
- sich, verflechten, verknäulen, ein Wirrwarr,
- man sieht es ungenau, da rechts vom Graziösen
- nur ein Rest und alles was sich bewegt, das Flache
- schweben lässt, wird vom Rand zurückgedrängt,
- an der Grobkante enden. Ob es wohl helfen würde,
- in die Breitrahmen zu springen? Sich dort zu vervollkommnen.
- Den Wildlauf könnte man verhindern,
- wenn man auf sie aufgepasst hätte.
- Es hieße dann: Wenn die Linien spazieren gehen.
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Frühling
- Fliegen torkeln herein
- durch’s offene Fenster.
- Wohnmobile werden geputzt.
- Motorräder zwitschern ihr Lied
- von Freiheit und Dreck.
- Die Mücken tragen ihren ersten
- Tanzwettbewerb aus.
- Und du sagst, du liebst mich nicht mehr.
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angeschnitten
- ein filetierter nachmittag brutzelt
- auf den treppen zum fettarmen fluss
- weitreichende hände streifen die warmen
- flanken der luft unter durchgebratenen wolken
- bald kommt sie dort zum erliegen
- schon verzehren die herbste ihr
- heißes fleisch mit aufgeplusterten mündern
- seitdem ist die angst vor den menschen gering
- die aus lieferbaren zutaten bestehen
- wie zahnstocher bleiben sie zwischen
- adventszähnen stecken
- und hungern aus angereicherten augen
- wenn die füllung aus dem abend quillt
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Exkurs
- Man könnte
- es kaltes Feuer nennen
- unbestimmbare Substanz
-
zwischen Sonnenflechtzentrum
- Augenweiden und gewölbtem
-
Herzsegel
- eine vorgerückte Ahnung
- mindestens
- einen Meter über
-
dem atemlosen Boden
- Luftpartikel
-
ungeteilte Flächenraster
- Wortgestöber
- an den Flanken
- eine Zehn-Sekunden-Hierarchie
-
mit Fensterglas-Ikonen
- Lächelrabatt
-
und colorierten Phrasen
- Man könnte
- mit empfindlichen Maschinen
- Vorschlagswerte aufaddieren
-
Formeln nutzen
- die Zusammensetzung des Lichts
- an die eigene
- Vorstellungskraft anpassen
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faden kreuz weise
- fest im Griff den Zwirn, so weit
- die linke Hand reicht und im Kopf
-
mein kleiner Minotaurus
- schnaubt mir nächtens ‘was von
- der Arena in den Hochetagen, Ruhm
-
und einem Berg aus purem Stolz
- am Tage packt er mich dann bei den
- Lippen, im ewigen Kampf des Menschen
-
gegen das Tier in seiner Mitte, stößt
- mit kompetent versilbten Lanzen auf
- dem Weg, der durchs Gelaber rinnt
-
durch Dünkelkammern voller Licht
- der Ausgang ist mir längst gewiss
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Wenn es einmal so weit kommt
- Im Frühjahr pilgern die Städter hinaus
- auf die Dörfer und Fluren, um den
-
heimkehrenden Schwalben zuzujubeln.
- Zu Sommerbeginn hängt man die Fenster aus,
- damit die Stubenfliegen über den Tischen
-
ungehindert die Zeit einwickeln können.
- Nach jedem Regen sperrt man die Straßen
- den Schnecken zuliebe, die sich auf den Weg
-
gemacht haben auf die andere Seite.
- An Herbsttagen versammelt man sich
- unter Bäumen, um den gefallenen Blättern
-
das letzte Geleit zu geben.
- Am Ende des Winters öffnet man
- die Kühlhäuser für die Rettung
-
der dahinschmelzenden Schneemänner.
- Wenn es einmal so weit kommt, wird es
- nicht mehr nötig sein, Verse zu schreiben -
- alles wird zu einem Gedicht.
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bewegungen
- diese stille
- wenn ich im dämmern erwache
-
und mich erinnere
- an die heimkehrenden boote
-
auf der glänzenden stahlhaut des morgens
- das tuckern deiner haut
-
die präzise geometrie der vergänglichkeit
- du hast das mal gelesen
- irgendwo
- flochten wir unser lächeln aufs rad
-
die nächte blieben
- nicht die boote
- nur das mechanische rattern der güterwagen
-
die fremde geschichten erzählen
- kantige worte
- und das blut auf der zunge
-
schmeckt nach eisen
- wir waren angehalten
- am ende der bremsspur
- unserer lippen
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Morpheus ist zu Scherzen aufgelegt
- Nach Eintritt in des Schlafes Schloss
- legt man, was auf den Knochen klebt,
- an der Garderobe ab. So weit, so schön.
- Doch sind die Hände wundgeklatscht
- und flattern fort und bläht der Vorhang
- sich, es kommt, es kommt, strebt alles
- auf den Ausgang hin. Dann mag es sein,
- dass im Gedräng die fremde Haut man
- überstreift sich und derart fehlerhaft
- bezogen man in die Nacht hinaussteigt
- und falsch kraucht in den neuen Tag.
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Jesu corona Virginum
- Jesu corona Virginum
- sangen unsere Mütter
- bei der sonntäglichen Vesper,
- erwartete Erholungszeit zwischen Mittag-
- und Abendessen, nach so viel Auf-den-Füssen-Stehen,
- wobei sie an die älteren, in Kalifornien
- wer weiss wo verlorenen Söhne dachten
- (die jüngeren, Geduld, sind noch da,
- mit dem Chorhemd um den Altar),
- Söhne, von denen sie, durch eine an Weihnachten eilig
- geschriebene Ansichtskarte, wussten, dass sie
- noch lebten; sie erinnern sich, wie sie ihnen
- die Händchen führten, Aufwärts- und Abwärtsstrich,
- immer das gleiche Stolpern, und jetzt «ich bin
- euch zu sagen, dass es mir gut geht», Ärmster.
- Es erhob sich danach der Weihrauchnebel und liess
- in seinem Wohlgeruch unsere Mütter träumen,
- vielleicht von der weissen Rose des Doré-Drucks
- für die Jungfrauen in ihrem glorreichen Flug;
- von einem Plätzchen für sie, weiter unten, und dann
- nur schauen, in Ewigkeit dasitzend.
Jesu corona Virginum
- Jesu corona Virginum
- cantavano le nostre madri
- al vespero domenicale, sosta attesa,
- fra il desinare e la cena
- e dopo tanto stare in piedi,
- per ripensare i figli maggiori
- perduti in California, chissà dove
- (gli altri, pazienza, ancora lì
- con la cotta intorno all’altare),
- saputi vivi con la cartolina
- scritta in fretta a Natale, a ricordare
- le manine guidate sul quaderno,
- asta e filetto, gli stessi inciampi, e ora
- «sono per dirvi che sto bene», poveretto.
- S’alzava poi la nebbia dell’incenso, e in quel profumo
- le nostre madri sognavano, chissà, la stampa
- della candida rosa del Doré
- alle vergini il volo favoloso; per loro
- un posticino sotto, e poi guardare
- sedute per l’eternità.
Plinio Martini
Plinio Martini (1923-1979) gehört zu den Klassikern der Tessiner Literatur. Zeitlebens als Lehrer tätig, begann Martini sein literarisches Schaffen als Lyriker, berühmt werden liessen ihn aber seine Romane. Eine Auswahl seiner Gedichte erscheint 2023 im Caracol Verlag in einer zweisprachigen Version.Christoph Ferber
geb. 1954 in Singen, wohnhaft auf Sizilien, ist vor allem als Übersetzer von Lyrik bekannt geworden. Aus dem Italienischen hat er unter anderem übersetzt: Gaspara Stampa, Ugo Foscolo, Vincenzo Cardarelli, Francesco Chiesa, Giorgio Orelli, Fabio Pusterla, Donata Berra, Pietro De Marchi.Magazin für kürzlich umgeworfene Pläne Magazin für kürzlich umgeworfene Pläne Magazin für kürzlich umgeworfene Pläne
Parapostmoderne Sentimentalität
- Draußen am bodentiefen Fenster,
- mein Aus und alles, sinnbefreit
- lächelte steril
- albern
-
banal.
- Für Tragik hat es nicht gereicht,
- wieder in der Bar, noch ein größeres
- Scheitern, mein
- Ein
-
und …
- Auf Kleinformat gefaltet
- zu kleines
-
Gedicht.
- Draußen am bodentiefen Märchen-Spiegel
- Seelen-Hülle Frage-Einladung Sinn-
- Befreiung wieder
- Scheitern
- Fenster.
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Mont Faron
- Am felsigen Steilhang
- Serpentinen knapp
- so breit wie das Auto
- Ausweichbuchten
- für Gegenverkehr
- keine – käme einer
- no risk no fun
- Schwindelblick
- auf das Meer
- die Stadt
- Toulon den Hafen
- Kriegsschiffe
-
im Abendlicht
- Ganz oben wird klar
- die Strasse ist Einbahn
- führt rund um den Berg
-
und gewunden zurück
- Restaurant fermé
- davor in seinem Gehege
- kreist ein schwarzer Panther
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schlachtschmaus – ein Gedicht
- blumenbrot, blumenbrot
- holla der rosentod
- hasennot hosen rot
-
wegen dem vielen blut
- kohlhaut, kohlhaut
- wo bleibst du helmut
- zweitopf zerteilter kadaver
-
wegen der vielen schlachterei
- hauptschmaus, leichengraus
- das haus voll abfällen wegen der ganzen
- putzerei wegen der ganzen
- sauerei
- wir essen jetzt sagt da die gisela
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Küchenmusik
- Gegen Hunger und stille Gewohnheiten,
- frische Eier von glücklichen Kühen
- mit Speck und die nebligen Hügel
- der Glocke führen zu Heldentaten:
- deux heures schlafen, dann direkt
- zum Weißwein. Bereit
- auch die Stille zu küssen,
- aber sie versteckt sich in einem Laib Brot,
- klappert mit einem unbekannten Dialekt.
- Das ist es, denkst du, ein Fest wird es sein.
- Die Assonanz ist perfekt,
- deine Stimmbänder schwellen rasch an,
- das Jodeln der Pfannen, ja, ja,
- ein Ton râpe à fromage, die Freiheit
- verstopft dir endlich den Mund.
Глад за музика
- Противно на всякакви навици,
- яйцата на пресните крави
- с бекон и мъгливият склон
- на камбаната водят до подвизи:
- сън deux heures, а после направо
- към бялото вино. Готов
- да нацелуваш и тишината,
- но тя яхва самун селски хляб
- и дрънчи с непознат диалект.
- Някакъв празник ще да е.
- Какъв съвършен асонанс,
- набъбват ти гласните струни,
- айларап от тигани, да, дада,
- щипка râpe à fromage и
- свободата запушва устати ти.
Die Übersetzung aus dem Bulgarischen stammt von der Autorin.
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Am Ende einer groszen Verwirrung
- Dich gibt es nur einmal, auf diesem Planeten
- Du bist einer von hundert Menschen die noch leben
- Du bist tausend Jahre alt, kannst gerade mal aufrecht gehen
- Die Menschen essen Menschenfleisch, nur du bleibst draußen stehen
- Wir tragen schwarzes Leder, wir tragen fremde Haut
- Wir gehen nicht mehr schlafen, dafür ist es zu laut
- Die Menschen spielen Spiele, ich bin immer allein
- Nachts hol ich die Schätze rauf, viel mehr kann ich nicht sein
- Wir gehen niemals baden, es gibt kein Wasser mehr
- Die Rohre singen leise, sie sind für immer leer
- Ich glaube ich kann nicht sterben, ich bin schon immer da
- Ich hab alles gesehen, was mit den Menschen war
- Sie kannten schon ihr Ende, sie haben es gewusst
- Ich habe sie beobachtet, ich kann nicht nur, ich muss
- Mein Anfang ist mein Glaube, mein Ende wird er sein
- Ich glaube nur an mich, ich lebe nur zum Schein
- Was nützt auch die Erzählung, wenn keiner übrig ist?
- Ich atme mich durchs Vakuum, ich werde nicht vermisst
- Wir sind des Rätsels Zeugen, wir könn’ es nicht verstehen
- Wenn wir mal etwas spüren, dann dass wir untergehen
- Ich träum von deinem Körper, mein Traum lässt mich nicht rein
- Der letzte Mensch der Erde, werd ich für immer sein
- Ich schreib mir von der Seele, was ich nicht wissen kann
- Ich schreibe mich lebendig, bin Gottes letzter Mann
- Was wollt ihr von mir hören, ich wahre bloß den Schein
- Das Paradies wird untergehen, es wird die Hölle sein
- Auch tausend letzte Worte ändern nichts daran
- Zeigen mir nur wieder mal, dass ich nichts ändern kann
- Dann seh ich jemand andern, ein Mensch, der mich erfüllt
- Ich mach ihm schöne Augen, es ist mein Spiegelbild
- Warum bin ich so einsam, ich halt es nicht mehr aus
- Mit Händen nass von Tränen, grab’ ich die Toten aus
- Ich hab jetzt keine Angst mehr, und spür auch keine Wut
- Ich hege wieder Hoffnung, der Tod, er steht uns gut
- Vergiss was ich erzählte, es war nicht so gemeint
- Wir fangen nochmal von vorne an, wir sind wieder vereint
- Ein Fenster fliegt zum Fenster raus, ich kann es nicht mehr sehen
-
Was ich nicht sagen kann, brauch ich auch nicht verstehen
- Im Staub tanzen die Toten aus einer anderen Zeit
- Ich schaue ihnen zu, ich bin für dich bereit
- Unter der toten Sonne, betten wir uns auf Lehm
-
Wir schlafen mit der Erde
- Sie kann nicht untergehen
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streulichter
- aus mythischen gefilden der erinnerung
- gaukeln reflexionen empor ändern namen
- die luft wird zum seelenarchiv feinkörniger
- partikel die lang sam l a n g s a m zu boden
- sinken in serien von augenblicken wie einer
- ankommt sich hinsetzt wie einer atmet
- die schrammen in seinem gesicht wiegt
- wie er redet dabei die konsonanten und
- vokale artikuliert wie er gestikuliert wie
- den arm beugt das geweih seiner hände
- knacken lässt wie er den kopf hebt wie
- sich in wiederholungen regt wie stark
- einer dir die hand drückt wie er leicht
- aufsteht wie seine schatten wirft welche
- regungen er hinterlässt beim gehen
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ELEGIE IX
- “Was frag ich nach der welt! sie wird in flammen stehn:”
- Andreas Gryphius
I
- wir haben keine dogmen
- kein manifesto keine emotion
- keinen tractatus keinen tod
- keine wunder keine vision
- keinen morgen keine namen
- keine mythen keine riten
- wir haben keine dogmen mehr
- nur leeres stroh und
- akkumulatoren
- seltene erden und
- geschlechtskrankheiten
-
wir haben keine dogmen mehr
- unsere hände sind taub und leer
- wir sind frei und
- gefangen
- in der weißen
- weißen
-
wolke
- wir
- das volk
- wir sind das volk
- das volk
-
das volk volk volk
- wir sind geliehener
- staub im exil
II
- lies w.g. sebald
- und mach liegestütze
- wie ein hund
- im wohnzimmer
- he spies with slow hands
- he spies with lizard eyes
- mach dir keine sorgen deine
- nekrotischen knochen
- werden heilen bis in den späten
- bis in den sommer folge nur
- dem denken bis zu den
-
hirngrauen tagen
-
niemand kommt mehr hinter die dinge
- materie und widerspruch
- gryphius lesen und krieg den palästen
- zwischen schein und wesen
-
die tyrannei der unsterblichkeit
- o sybilla sybilla
- wir beschwören doch nichts wir
- rufen doch nichts an wir glauben
-
an die sterne und an elon musk
- ich –
- dieses überlebensgroße
- modell o o o o
- o melancholische nacht
- wir nahmen schon kerosin
- we can change our shape
- into anything
III
- von der mittagshelle überrascht
- von den flimmerhaaren in den schlaf
- gebracht den tod endlich verstehn:
-
warum immer so hysterisch?
- es wird wohl wege geben von hier nach dort
- was war und was hätte sein können ich bin hier
- und nirgendwo anders weder in der zukunft
- noch an einem anderen ort ich bin hier weder
- in der vergangenheit noch in dem was gewesen
- sein wird oder in einer anderen zeit ich bin hier
- es wird wohl wege geben von hier nach dort
- und ich bin an jedem andern ort ich bin hier
- und an jedem andern ort in jeder andern zeit
- in dem was hätte sein können und in dem
- was war ich bin an jedem ort in jeder zeile
- in jedem morgen in jedem wort in jedem tod
-
es wird wohl wege geben von hier nach dort
- wir haben das alles gehört
-
aber wir sind bankrott
- morgen abend sind wir verloren
-
es ist die wahrheit
- wir brauchen einen boykott
- von rüstungswaffen
- von streitkräften
- von schlachtfeldern
- von meerloser zukunft
- von lichtmangel natürlich
- und von gott
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Flügelwäschetrockner
- Jesus blickt von der Wand aus mindestens 14 Augen herab.
- Ich sollte beichten, mit Brot im Munde und Wein im Geiste,
- dass ich mich unzählige Nächte zwischen den Beinen anfasste.
- Ich brauche Tabak, Maria Voicu rät mir vom Rauchen ab,
- das ist eine Männersache.
- Maria Voicu sagt, ich sollte heiraten, dann müsste ich nicht zum Südbahnhof joggen
- und allein Kaffee kochen am Morgen.
- Ich könnte Wäsche waschen, aufhängen (auf dem Flügelwäschetrockner), abnehmen, bügeln, falten, versorgen,
-
so wie es gute Frauen eben tun.
- Aus dem Zimmer nebenan ertönt das antike Schnarchen von Maria Voicu,
- es ist zwei Uhr morgens,
- im tiefsten Schlaf fantasiert sie von Petre Voicu,
- im luzidesten Zustand bügelt sie Wäsche für sein Phantom.
- Hundertjährige Porzellantassen ruhen auf den Holzregalen,
- das Dienstmädchen vorbereitete einst Kakaomilch darin und schwieg,
-
so wies gute Frauen eben taten.
- Viele Ferientage verbrachte ich wie ein katholischer Priester unter dem Dach von Maria und Petre Voicu,
- zwischen meinen Oberschenkel erwachte Sexus,
- doch keiner konnte sich daran vergnügen, denn Maria Voicu verbietet mir nach 24Uhr auf den Strassen zu gehen.
- Ich sei schon über zwanzig, ich sollte mir ein weisses Kleid kaufen.
-
Maria Voicu sagt: Sei einfach nett zu den Jungs und nicht zu wählerisch!
- In der Wohnung von Maria Voicu gibt es auch andere Geister.
- Elisa und Marcela, Verliebte aus 1920, Besucherinnen meiner Träume von Netflix:
- ihre Berührungen elektrisierend, orgasmuswürdig, 15 Sekunden zurückspulen immer wieder immer wieder bis…
- Leerer Flügelwäschetrockner.
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Nacktes Leben
[für vier Stimmen]
- Wer kann wen retten
- ohne sich zu opfern?
1.
Ana
- nur die Wörter wechsle ich wie
- Unterwäsche
- sie lagen lang unter den Rippen
- erfroren
- mickrig
- es war nicht so dass ich sie nicht wollte
- ich kannte sie nicht
- rechtzeitig am richtigen Ort
- frei zu sprechen
- jetzt sagen sie
- schaut das ist die
- und sehen nicht wie
- ich das erste Mal
- mein eigenes Kind Wort
- Wäsche
- wasche
2.
- Eurydike
- unausweichlicher Stolperkörper
- vergeben
- vergiftet
- versunken im Hades
- mit seiner Stimme
- der Hoffnung aufgewacht
- endgültig verloren zurück
- gesandt in die doppelte Dunkelheit
- aber ich sage es euch
- wir trafen uns im Spanischen Bürgerkrieg
- vor dem Tag als ich die Hand verbrannte
- sie sprach mit meiner Stimme
- sie war sehr schön
- skulpturiert
- Meine Mutter
- Mein Vater
- Liessen mich nicht
- auf dem Schlachtfeld
- Freiheit suchen
3.
- Ich komme
- aus leeren Orten
- in welchen
- ich
- ahne
- Glanz
- oder
- Anwesenheit
- mehr oder weniger
- Handvoll
- (ja Handvoll)
- Hoffnung
- (eingebildete - ich weiss)
- erblinde fast von
- Sehnsucht
- bei dir zu sein
- ein Augenblick
- Repariere verletzte Hand
- wie tief gepflügtes Feld
- belasse
- Samen
- soll mich verbinden,
- es wird gesagt
- es ist kein
-
Böses nur für Böse da
- nije svako zlo za zlo
Gesamten Text lesen
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Linn Meier (†2019)
- Wenn die Wolken schwerer sind als du
- die Nischen dazwischen riesig
- Wenn nichts rauskommt aus dir
- Getreidefelder legen sich quer in dein Zimmer
- wenn die Tage fett und faul wie Brote sind
- Füllig und flächig wie Mond
- mondgesichtig wie dein schlimmstes Wesen im Traum
- Wesensverändernd wie dein Essen
- weswegen dus nicht isst
- weswegen du nicht das Gewicht vom Mond bist
- Nur einer von den Schatten
-
wenn du dort landen willst
- Wenn die Erde gar nicht so groß ist
- wenn die Alpen gar nicht so hoch sind
- wenn du alles kannst
- die Sicht reicht nicht weit
- aber du denkst sie reicht weit
- großer Wagen, kleiner Wagen
- locker kommst du an alles ran
Der abgedruckte Text ist ein Auszug aus Linn Meier (†2019). Der Text wurde von Martina Hefter gemeinsam mit den Musikern Timm Völker und Patrice Lipeb als Musik-Performance umgesetzt und kam in mehreren deutschen Städten zur Aufführung.
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