24/7
14.
Oktober
2022
- Superchargeur 24/7
- doch wir sind zu beschäftigt
- das Auto zu laden
- schweben auf mit Regen gefüllten Wolken
- trennen Weisses von Buntem
-
tauschen den Adapter gegen Brot
- Meeresrauschen 24/7
- doch wir sind zu beschäftigt
- um am Strand zu spazieren
- Magnesiumtabletten in Kohlensäurewasser
- wir werfen im Kinosaal
- mit Popcorn um uns
- treffen die Leinwand und Girlcrush
-
Léa Seydoux
- Ferienstimmung 24/7
- doch wir sind zu beschäftigt
- um es zu geniessen
- wünschen uns weniger Salvini
- dafür mehr veganes Tiramisu
- wünschen uns weniger Bolsonaro
-
dafür mehr Orang-Utans
- Superchargeur 24/7
- doch wir sind zu beschäftigt
- um das Auto zu laden
- jagen Sektenanführer und unbezahlte Rechnungen
- tauschen unselige Nachrichten
- gegen den lichtverschmutzten Sternenhimmel
geb. 1992 in Zürich, schreibt Gedichte und Prosa. Ihr erster Gedichtband «Eine Auswahl an Fluchtmöglichkeiten» erschien 2020 im Aphaia Verlag. Publikationen in diversen Literaturzeitschriften. Mitbegründerin des Kollektiv Kitzeln, das unter dem Motto «Bühne, Brüste, Backstein» eine feministische Lesereihe in Bern veranstaltet.
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Kommentar
Nick Lüthi
Schreibt und spricht über Bücher aus unabhängigen Verlagen für diverse Medien. Veröffentlichung von Gedichten in diversen Literaturzeitschriften.
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Wie bei vielen von Lea Schlenkers Gedichten, evoziert auch «24/7» einen Moment. Bei der Lektüre entfaltet das Gedicht sofort seinen vermeintlichen Ursprung: Es riecht nach grenzenloser Freiheit und unbändigem Vorwärtskommenwollen. Nach Strand, Meer, mitteleuropäischer Küstenlandschaft. Der Urlaub fungiert dabei als Verstärker, alles wirkt grösser, schneller und unbändiger, als es in Tat und Wahrheit vielleicht ist. Die Reisenden, das lyrische Wir, sind dabei konstant überfordert, für die Sinneseindrücke und das Neue bleibt keine Zeit zur Einordnung. Der Roadtrip im Elektroauto ist so unbändig, dass selbst die beiden zwangsläufigen Ladestopps zu Momenten der Bewegung werden; entweder wird «geschwebt» oder «gejagt». Schlenker fängt damit die Rauschhaftigkeit ein, die einen guten Roadtrip begleitet.
Wie es genauso oft bei Schlenkers Gedichten geschieht, stoppt das Gedicht aber nicht beim Einfangen des Moments, sondern unterfüttert oder widerstrebt diesem Moment auf einer zweiten Ebene. Hier wird diese zweite Ebene bereits in Teilen in der im Titel ausgedrückten Rastlosigkeit angedeutet. «24/7» läuft das Leben, es kennt keine Punkte des Stillstands. Das führt dazu, dass die Reisenden zu beschäftigt für alles sind, egal, was ihnen widerfährt, in jeder Strophe rufen sie die Beschäftigung wieder aus. Gewichtiger als die Geschäftigkeit, die ja zu einem guten Urlaub irgendwie auch dazugehört, sind die Themen, die trotzdem zu den Reisenden durchdringen. Der Urlaub ist keineswegs ein sorgloser, die politische Gegenwart dringt mit den Akteuren Salvini und Bolsonaro genauso durch, wie die über die Orang-Utans ausgedrückte Sorge um das Klima und die Umwelt. Auch die Wirtschaftskrise begleitet die Reisenden und der Sternenhimmel ist nur noch in lichtverschmutzter Form zu geniessen.
Es gehört genauso zu diesem Gedicht, dass es die unbändigen Freiheitsmomente eines Urlaubs einfängt, wie dass die äusseren Umstände, völlig unabhängig von den inneren, nicht ausser Acht gelassen werden können und den Roadtrip unweigerlich begleiten.