Gedicht nach dem Abendbrot

10. Februar 2023
  • Die Königin weinte
  • Subtexte von Glück
  • dem Sperlingsvogel (v)iel
  • eine Perle vom Kleid
  • die Königin lachte
  • ein schwarzgelber Käfer läuft quer hier durchs Bild
  • Müdigkeit verwischt meine Schrift
Dr. phil. Melanie Katz studierte Sozialpsychologie und Deutsche Literaturwissenschaften und promovierte zu Geschlecht als Kategorie des Wissens an der Universität Basel. Sie lebt in Zürich, forscht zu Wissen um Pflanzen und arbeitet als Autorin und Performerin. Sie leitet das Einsame Begräbnis in der Deutschschweiz.
Dieses Gedicht wurde von Nathalie Schmid kuratiert.

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Kommentar

Drei Figuren tummeln sich in Melanie Katz' Gedicht: Eine Königin, ein Sperlingsvogel und ein schwarzgelber Käfer. Sofort werden Assoziationen zu Märchen wach, etwa zu «Das singende springende Löweneckerchen» der Gebrüder Grimm, dazu passend auch die Perle. Das Gedicht selbst sagt aber bereits, dass es mit Subtexten arbeitet, wir es also nicht allzu wörtlich nehmen dürfen. Wobei, natürlich, die explizite Nennung des Subtextes wiederum dafür spricht, das Gedicht wortwörtlich zu nehmen. Betrachten wir die Figurenkonstellation erstmals ohne Subtext nach den Handlungen: Die Königin lacht und weint, der Vogel verteilt (unfreiwillig) Perlen, und der Käfer unterbricht die Anordnung. Betrachten wir die Subtexte, offenbart sich eine vierte Figur, das lyrische Ich, welches die ganze Entwicklung festhält und durch den Käfer gestört wird. Es ist zu vermuten, dass es dieses lyrische Ich ist, auf den der Titel referenziert, welches also nach dem Abendbrot die Situation festhält.

Mit Erkennen der vierten Figur, ist trotzdem noch wenig über das Gedicht gesagt, auch, weil es sich vor klareren Aussagen verschliesst, ja verschliessen will. Da ist die seltsame Anordnung, die an ein Märchen erinnert, sich aber nicht im Genre des Märchens auflösen lassen will. Das ominöse lyrische Ich, dass alles festhalten möchte, schlussendlich aber von der Müdigkeit davon abgehalten wird. Der Sperlingsvogel, der die Perlen nur auf der lautlichen, nicht aber auf der textlichen, Ebene zum Fallen bringt und der Käfer, der das Bild zerstört. Kurzum, es bleibt mysteriös. Aber, und das möchte ich jetzt als letzte Lesart ins Feld führen, ohne Subtexte ist alles gar nicht so mysteriös, wie es scheint, sondern entspricht der tatsächlichen Szene nach einem Abendbrot, einfach in Gedichtform und entsprechende Metaphern gepresst. Anders gesagt, ein flüchtiger Moment des Glücks, der sich nach dem Abendbrot während einer Schreibblockade einstellte. Wenn nur dieser vermaledeite Käfer und die Müdigkeit nicht wären.

Nick Lüthi

Schreibt und spricht über Bücher aus unabhängigen Verlagen für diverse Medien. Veröffentlichung von Gedichten in diversen Literaturzeitschriften.

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