signale

13. Januar 2023
  • es ist als hätten mich
  • die flanierenden schnecken
  • geweckt sie machen heute
  • den garten zu ihrem park
  • tragen zur feier der taulage
  • ihre fühler stolz wie kronen
  • und deuten auf meine radare
  • in der wahrnehmung
  • der schwebenden tropfen selten
  • lieber eingezogen oder rostend
  • an den enden knicken sie
  • gelegentlich in eine falsche richtung
  • mit baumwollschonern
  • gegen den verdächtigen lärm
  • wenn sie sich vor lauter signalen
  • um 360 drehen und zurück
  • zwirbeln bis sich alles spannt
geb. 1971 in Polen, 1981 kam sie in die Schweiz, wo sie seither lebt. Seit 2000 sind 29 eigenständige Bücher von ihr erschienen. Ihr Werk umfasst Lyrik, Kurz- und Kürzestprosa, Theaterstücke und Dramolette, Hörspiele, Essays.

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Kommentar

Es ist ein simples, alltägliches Vorgehen, dessen Beobachtung sich Joanna Lisiaks Gedicht widmet: den Schnecken im Garten. Es bleibt aber nicht bei der Beobachtung, das lyrische Ich stellt sich selbst in Bezug zu den Schnecken; die titelgebenden «signale». Zwei Elemente heben in der Folge das Gedicht von einer simplen Naturbetrachtung ab. Einerseits durch die Sprache, andererseits durch die Technikwerdung der Natur. Lisiaks Sprache ist aufgeladen und mit feierlichem Charakter durchsetzt, so wird etwa die «taulage» gefeiert oder die Fühler werden zu «kronen». Das kleine, eigentlich unliebsame Ereignis – die alles zerfressenden Schnecken – bekommt so etwas Majestätisches und wird positiver dargestellt, als es eigentlich ist. Eng verbunden mit der sprachlichen Vermengung ist auch die implizite Technikwerdung der Tiere und dem sich dadurch entspinnenden Austausch mit dem lyrischen Ich. Erst durch die (analogen) «radare» des lyrischen Ichs wird die Kommunikation ermöglicht und die Schnecken erhalten fortan sowohl Eigenschaften der Natur als auch der Technik zugeschrieben. Die Bewegungen und Ausrichtungen auf Signale können Radargeräte und Schnecken beschreiben, rosten können Schnecken aber natürlicherweise nicht. Der «verdächtige Lärm» wiederum, weist auf die schwierige Aufgabe der Tiere hin. Das Übermass an Signalen muss bewältigt werden. Was das Gedicht nur andeutet: Dieselben Probleme stellen sich auch für das lyrische Ich.

Der abschliessende Zwirbel ist eigentlich eine Fehlzuschreibung, die Drehung um 360 Grad ermöglicht ja gerade eine Drehung ohne Spannung respektive Verzwirbelung. Im Rahmen des Gedichts, welches Elemente der Kommunikation zwischen Mensch, Natur und Technik spannt, erscheint es nur konsequent. Die Beobachtung scheint auch eine Ausflucht zu sein, der Lärm, die von überall her kommenden Signale, sie werden erst durch die Schnecken verarbeitet und erst dann auf den Menschen übertragen. Auch dies eigentlich ein Mittel der Technik: Die Übertragung von Ereignissen in Information oder anders; das Fassbarmachen von Signalen.

Nick Lüthi

Schreibt und spricht über Bücher aus unabhängigen Verlagen für diverse Medien. Veröffentlichung von Gedichten in diversen Literaturzeitschriften.

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