während das flachland explodiert

8. September 2023
  • während das flachland explodiert
  • – räusper –
  • stetiges rauschen, knirschen, gleissendes licht
  • eis, matt von der sonne
  • wind, der sanft um die häuser bricht
  • fragt einer: hämmern wir nägel in die wand
  • ein anderer: where are the rough sides of reality here

  • die zeit hängt schon lange nicht mehr, sage ich
  • der hölzerne klappstuhl biegt sich gefährlich
  • unter meinem gewicht
  • der winter stirbt einen würdelosen tod

  • and what about the water
ist Autorin und Journalistin, schreibt Prosa, Lyrik und Reportagen.
Dieses Gedicht wurde von Das Narr kuratiert.

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Winter und Apokalypse

In seiner Wuchtigkeit lässt uns Daria Wilds Gedicht ratlos zurück. Was wird hier beschrieben: das Vergehen des Winters oder eine Apokalypse? Das Eine wäre weit weniger dramatisch wie das Andere. Das Gedicht erreicht diese Wirkung mittels geschickten Auslassungen und eingestreuten Zweideutigkeiten. Ist das Flachland geografisch gemeint oder bezieht es sich auf einen Gletscher? Ist die Idylle nur gespielt, wenn ein anderer danach fragt, oder ist hier bereits die Hölle los, weil die Nägel an die Wand kommen müssen? Oder zeichnet sich damit nur ein herkömmliches Bild einer Ankunft auf dem Land ab? Eine Darstellung des wortwörtlichen Sesshaftwerdens, welches sich zwar auf dem Klappstuhl ins Unheil hineinbiegt, noch aber nicht durchbricht? Und dann steht da trotzdem wieder die Frage nach dem Wasser im Vordergrund: Ja, was ist denn nun mit dem Wasser?

Eine erste Antwort auf die eingangs gestellte Frage nach Apokalypse und Winter wäre demnach, dass der Text beides vermengt. Der Winter vergeht und sein Vergehen kommt einer Apokalypse gleich, weil wir weiterhin in den Klappstühlen sitzen, dem Eis beim Sterben zuschauen und uns zwar nach dem Wasser sorgen, aber erstarrt in unserer Position verharren. Diese Lesart ist aber bereits von einem aktivistischen Kern durchzogen, denn das Gedicht enthält sich: Wir wissen von drei Menschen, die sich unterhalten, von Häusern, sanftem Wind und von einer gewissen Uneinigkeit, die zwischen den dreien herrscht. Mehr nicht. Konsequenterweise müsste man sich also fragen, gibt es eine weitere Lesart, die nicht von den eigenen Vorurteilen verbogen wird – ein Weder-Noch? Es gehört zur Stärke dieses Gedichts, dass es uns verschiedene Lesarten über sein eigenes Flachland zur Hand reicht und es an uns Leser:innen ist zu entscheiden, ob die Explosion apokalyptisch wirkt und falls ja, für wen: Für alle, für die drei Beobachtenden oder nur für diejenigen, die im Text nicht aktiv auftauchen? Die Sache bleibt offen, ganz bewusst, weil es vermutlich keine gute Antwort auf die Frage gibt, ob sich nur die Jahreszeiten abwechseln, oder ob durch diesen Wechsel die Apokalypse Einzug hält. Wichtiger ist demnach, dass man sich der Frage – trotz aller Uneinigkeit – stellt.

Nick Lüthi

Schreibt und spricht über Bücher aus unabhängigen Verlagen für diverse Medien. Veröffentlichung von Gedichten in diversen Literaturzeitschriften.

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