Geheimnis

Larissa Waibel
22. September 2023
  • Es gab eine Zeit
  • da musste mein Geheimnis
  • um jeden Preis sicher
  • bewahrt werden
  • vor gierigen Augen
  • und druckerschwarzen Fingern
  • und spöttisch lachenden Kehlköpfen

  • einmal klopfte es
  • klopfklopfklopf
  • wer ist da: keine Antwort
  • man hustete vor meiner Tür
  • und es klopfte noch einmal
  • klopfklopfklopf

  • ich sagte: ich komme
  • gleich und liess Wasser laufen:
  • Tarngeräusche

  • und suchte
  • all das Papier zusammen
  • Verbrennen würde Asche hinterlassen
  • dachte ich
  • und begann
  • zu essen, hinunterzuschlingen
  • zu schlucken, ohne zu kauen

  • und mit vollem Mund wiederholte ich:
  • ich komme gleich ich wischte
  • mir mit dem Ärmel meines Pullovers den Mund ab
  • dann öffnete ich
  • mit einem Magen voller Worte
  • die Tür

  • ja, bitte?
Geboren 1996 in Winterthur, hat Deutsche Literaturwissenschaft, Literaturvermittlung und Anglistik an der Universität Zürich studiert und war drei Jahre lang Co-Redaktionsleiterin der Literaturzeitschrift „Denkbilder“. Sie lebt und arbeitet als Lektorin in Zürich.

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mirabellenlieder

Franziska Witschi
19. September 2023
  • auf der ebene liegt flanell
  • die erste sonne greift danach
  • fasane zerhacken die luft

  • kindgewordener morgen
  • malt pastell ans vordach

  • der leuchtturm fällt in tiefen schlaf
  • versäumnisse verebben
  • mirabellenlieder hallen nach
Arbeit als Autorin und Biologin, Inhaberin von Büro Witschi. Diverse Lyrik- und Prosaprojekte, Vertiefung in Nature Writing. Publikation von Essays zu Spinnen, Käfern, Pilzen. Bildungsgang Literarisches Schreiben, EB Zürich. 2018 Finalistin TREIBHAUS-Wettbewerb, 2023 Schreibstipendium Kanton Bern.

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geizige kinder auf amphetamin & weitere bestandsaufnahmen

Julia Rüegger
15. September 2023
  • das klicken einer schabe die an die decke knallt

  • drohungen die mich eher zufällig erreichen

  • im hotel california ohne es zu wissen

  • zu viel abendland verdächtig
  • zu viel telepathie

  • verlege bleistift verliere wimpern
  • kenne den umfang meiner wohnung nicht

  • aber witterung

  • ein echo das nicht mehr zurückzuführen ist

  • versuch eine häutung in echtzeit zu protokollieren

  • im stundenzimmer für gespenster

  • oder dreihundertsechzehn arten wund zu sein

  • treibgut das ich auflese
  • als handgepäck

Die Zeile «zu viel abendland verdächtig» ist in leicht abgewandelter Form dem Gedicht Fußnote zu Rom von Günter Eich entnommen.

studierte Literarisches Schreiben, Theater und Philosophie in Hildesheim sowie am Literaturinstitut in Biel. Sie schreibt Gedichte, Essays und Prosa und kuratiert die Lesungen im Basler Offspace «wabe». Ihr Lyrikdebüt «einsamkeit ist eine ortsbezeichnung» (Schiler & Mücke) erschien diesen Sommer.

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die betäubung erfolgt durch insekten

Frieda von Meding
12. September 2023
  • leben, die wie krokusse wachsen
  • eine zierpflanze, andere safran
  • manche nur zum scheinkrokus oder zeitlosengewächs
  • sind sie ausdauerndes knollenkraut
  • glatt der blattrand
  • um den mittelnerv
  • stehen die blüten einzeln
  • oder zu vielen
  • erwachen im frühjahr oder herbst
  • gelb, weiss, hell-violett
  • zwittrig, symmetrisch und dreizählig
  • im boden ihr fruchtknoten
geb. 1994, träumte früher von Paris und bleibt heute lieber in Biel, ihre Texte sind kurz und «nichts als die Wahrheit»

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während das flachland explodiert

Daria Wild
8. September 2023
  • während das flachland explodiert
  • – räusper –
  • stetiges rauschen, knirschen, gleissendes licht
  • eis, matt von der sonne
  • wind, der sanft um die häuser bricht
  • fragt einer: hämmern wir nägel in die wand
  • ein anderer: where are the rough sides of reality here

  • die zeit hängt schon lange nicht mehr, sage ich
  • der hölzerne klappstuhl biegt sich gefährlich
  • unter meinem gewicht
  • der winter stirbt einen würdelosen tod

  • and what about the water
ist Autorin und Journalistin, schreibt Prosa, Lyrik und Reportagen.

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das geilste

Pul Müller
5. September 2023
  • fanny pack vibriert
  • wenn du mir jetzt schreibst
  • um die hüfte geschnallt
  • lässt die vibration, die du auslöst
  • mein fudi, in kleinen wellen wabbeln
  • ich tu so, als würd’ ich nicht merken
  • dass du an mich denkst
  • dabei spür’ ich den wellen bis zum ende nach
  • du schickst mir fotos, von wo du bist
  • und das geilste ist
  • dass ich echt lange so tun kann
  • als würde es mich nicht interessieren
wurde 2000 geboren und lebt seit immer in Basel. They badet in popkulturellen Strömungen, bewegt sich im Theater zwischen Bühne, Publikumssaal und Assistenzstellen. Ab dem kommenden Semester studiert they Literarisches Schreiben am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel.

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inseln der nacht

Nicole Prosser
25. August 2023
  • inseln der nacht
  • bewohnt deine zartheit.
  • am morgen:
  • der sprung ins wasser.
geb. 1994 in Graz. Veröffentlicht Gedichte in Anthologien und Literaturzeitschriften. 2022 Finalistin beim zeilen.lauf-Lyrikwettbewerb. Arbeitet als OeAD-Lektorin für Germanistik an der Universität Prešov in der Slowakei.

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Palästina. Drei Impressionen.

Rudolf Bussmann
22. August 2023

Die Dreisternestadt

  • In weichen Sneakers treppauf
  • Bis zur Höhe des Turms und höher
  • Trepp trepp
  • Zur Aussicht aufs Meer
  • Hingewölbt in die Trümmer ein Bogen
  • Zum zikadenstillen Hof wo die Männer

  • Das Brettspiel beiseite legten
  • Als ich geboren wurde das Kleinvieh
  • Zusammentrieben die Frauen
  • Für mehrere Tage
  • Brot buken zur Flucht vor den
  • Flüchtenden aus Europa

  • Zitadellenhohes Wehweiss treppauf
  • Ausgekernt und neu gemauert
  • Galerientauglich souvenirfrisch halb
  • Museum halb Friedhof
  • Dreisternverwöhnt der Andromedafelsen
  • Unten von den Wellen umschäumt

  • Der Strand mit seiner Nabelschnur aus Gischt
  • Schwingt sich hinüber zur grossen Schwesterstadt
  • Den Türmen von Banken und Konzernen
  • Am Himmel die sinkende Sonne
  • Gross wie eine Orange
  • Jaffa juce of health

  • Geflohene Zeit hingewölbt
  • Zu dem Schulhof wo ich
  • Meine erste Frucht schälte
  • Nahezu kernlos auf dem Seidenpapier
  • Der Name der Dreisternestadt
  • Und süss die Tropfen an den Fingerbeeren

  • In der Hand den Dreisterneführer
  • Gehe ich dem Schatten nach
  • Sneakers mit Selfiestopautomatik trepp
  • Trepp mit Petrus die Christin Tabita
  • Zum Leben erwecken im Haus von Simon
  • Dem Gerber (heute eine Moschee siehe Plan)

  • Entginsterte Mauern wehweiss
  • Trepp
  • Süss die Lippen damals rot vom Saft
  • Der in der Pause über sie rann
  • Zur Zeit als die Bewohner
  • Weitere Tipps unter Reisen und Geniessen.

Exkursion

  • Folge den Strassen bis zur Schranke. Zum Lauf der Hand-
  • Feuerwaffen. Merke dir Kategorie, Kaliber, Kadenz.

  • Zähle die Mauern, zähle die Zäune, zähle
  • Die Gräben, die Wälle. Ort, Datum, Jahr.

  • Lege das Ohr auf die Erde. Frage das Gras, wann es Zeit ist
  • Für Rache. Wiederhole die Frage. Warte auf Antwort.

  • Geh zu den Gräbern, mische dich unter die Toten. Lies
  • Wie sie wurden zu Stein: Geschlecht, Alter, Art des Todes.

  • Schalte im Zimmer das Radio ein, lausche den Reden, den Schwüren
  • Beim Bart von. Anrede, Amt, Wohnsitz.

  • Stopfe deine Pfeife mit Hingabe. Rauche. Klopfe sie aus
  • In deine Hand. Zähle, was bleibt.

Justierung

  • Die Schatten wissen nicht, zu was
  • Sie gehören, das Dunkel hat den Besitz
  • Neu verteilt. Du hörst deinen Atem
  • Nach dir rufen. Im Traum

  • Gibst du ihm Antwort in Babylons Sprache
  • Als ein Vogel. Die Dämmerung nimmt dir
  • Die Federn vom Leib, legt auf die Schwelle
  • Einen Wind, einen Wunsch, ein Stück Helle

  • Du stehst nackt an der Tür, zögerst
  • Den Moment hinaus
  • Wo Hose und Hemd dir sagen
  • Wer du bist.

Auf nächsten Frühling ist ein neuer Lyrikband mit Impressionen aus Israel und Palästina geplant.

geb. 1947 in Olten, studierte Germanistik und Romanistik in Basel und Paris. Er publiziert Lyrik, Kurzprosa und Romane. Daneben betätigt er sich als Redaktor und Herausgeber von Belletristik, leitet Lesezirkel, macht Schreibbegleitungen und Moderationen. Er ist Mitorganisator des Internationalen Lyrikfestivals Basel. Auf seiner Homepage führt er einen Blog zur Poesie des Alltags. Zuletzt: «Ungerufen. Gedichte.» (Edition Bücherlese, 2019) und «Herbst in Nordkorea. Annäherung an ein verschlossenes Land. Reise-Essay.» (Rotpunkt, 2021).

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über den Rand segeln

Gina Bucher
18. August 2023
  • Mit der frühesten Verbindung
  • segle ich über den Rand
  • und schaue von unten
  • wie es sich entwickelt
  • das Wasser im Osten
  • das Feuer im Nordwesten
  • und die Gesetze für morgen
geb. 1978. Lebt und arbeitet in Zürich. Zuletzt «Ich trug das grüne Kleid, der Rest war Schicksal» (Piper 2016) und «Der Fehler, der mein Leben veränderte» (Piper 2018). Unterrichtet an der F+F Zürich, Schreibtrainerin am Jungen Literaturlabor JULL und Redaktionsmitglied der essais agités, Edition zu Fragen der Zeit.

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ewig rauscht II

Annett Jaensch
11. August 2023
  • küste, unbehauener saum zur sehnsucht
  • über die gischt schiebe ich erinnerungen
  • richtung horizont
  • perlmuttern ist mir zumute
  • wohin mit all dem treibgut, kopf
  • im geröll die zeit knietief
  • versunken bis der sturm
  • meinen namen flüstert
  • zwischen zwei sandkörner
  • das letzte licht
  • des tages
  • fällt
geb. 1970, Sprachdozentin und Journalistin, Schwerpunkt zeitgenössischer Tanz, lebt in Berlin.

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Feuerfest

Jürgen de Bassmann
4. August 2023
  • Die Flammen brannten durch bis auf den Knochen.
  • Arme, angekohlt in blütenweißen Binden:
  • Wie die feingenarbten Rinden
  • abgeschmückter Maibaumbirken.
  • Pass bitte auf. Er sagt, sie sind gebrochen.
  • Unter Mullkompressen schmort die Haut
  • in marmorierten Schwarten, wie zerhackt.
  • Der Wulst der Lippen hart verbacken.
  • Wenn ich ihn drück‘, hör hin: Es knackt.
  • Der Harnstoff und die Glycerine wirken.

  • Die Erdbeer-Bläschen — wie sie leise kochen
  • wenn die letzten Zellmembrane knisternd platzen.
  • Jucken steigt aus den Matratzen,
  • denn ich soll im Liegen leiden.
  • Mach kurz und schnell. Du hast es mir versprochen.
  • Diese Hitze klebt und tropft nicht ab.
  • Von Epidermis hebt sich heller Flaum
  • aus frischgestärkten Festtagsspitzen.
  • Geh ganz nah ran, man sieht ihn kaum.
  • Dabei bin ich der ält’re von uns beiden.

  • Die wahren Schmerzen kommen erst nach Wochen.
  • Wenn aus feingeblümten Kaffeenachmittagen
  • plötzlich Dämmerschatten schlagen,
  • dröhnend von den Wänden hallen.
  • Ich hab es nicht geseh’n und nicht gerochen.
  • Funken, ein Kanister Aceton,
  • das Blaulicht zuckt. Es war die Ungeduld.
  • Dann Trümmerschlaf der Opiate.
  • Ich weiß doch, es ist meine Schuld.
  • Geh weg, wenn bald die Schatten auf mich fallen.
geb. 1964, Ausbildung zum Sortimentsbuchhändler, danach journalistische Tätigkeit und Konzeptionstexter, heute im Finanzmarketing. Schreibt Gedichte und Storys.

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manchmal

D Schmidt
20. Juni 2023
  • Mir fehlen die Worte
  • manchmal
  • wenn es mir die Sprache verschlägt
  • dann rede ich fremde Sätze lauthals ins Leere
  • damit sich die Tür wieder öffnet
  • die mich abgewiesen hat
  • und ich Gedanken finde
  • die in mir eingeschlossen sind
  • damit ich etwas sagen kann
  • und es nicht mehr so weh tut
  • weil Worte fehlen
  • manchmal
  • wenn die Sprache wegbleibt vor lauter Gerede
  • und überhört wird, was unsagbar ist
  • weil es einfach wortlos da ist
  • manchmal
  • wenn das Schweigen lauthals Antworten verspricht
  • und das Versprechen es bricht
  • weil es nicht versteht
  • was es glauben will
  • wenn Ideen ungefragt entstehen
  • manchmal
  • wenn der Stille die Stimme versagt
  • sich schreiend festhält
  • was nicht gefällt
  • wenn der Kopf sich ahnungsvoll entspinnt
  • und die Träume wortreich von Sinnen sind
  • manchmal
  • hat die Welt mich verschluckt
geb. 1972, hat Kulturwissenschaft studiert, lebt in Berlin und hat bereits mehrere Märchen, Gedichte, Grafiken, Kinder- und Kurzgeschichten in Anthologien veröffentlicht.

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ohne warnschild

Christa Issinger
9. Juni 2023
  • es fällt mir schwer zu sagen
  • dass ich zusah
  • wie deine sehnsucht starb

  • man trifft sie
  • an den wegbiegungen
  • eines anderen himmels

  • in den stunden deiner zweifel
  • werde ich für dich atmen
  • schrie ich

  • doch meine stimme hallte
  • durch eine unsichtbare zeit
geb. 1963 in Brixen (Südtirol), Preisträgerin 2014 und 2022 des Hildesheimer Lyrikwettbewerbes. Veröffentlichung in verschiedenen Anthologien und Literaturzeitschriften. Zuletzt «Die Liebe ist nicht rot» (Literaturverlag Hans Spicka, 2012).

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(ohne Titel)

Marcel Lewandowsky
2. Juni 2023
  • für Schwartz

Heute ist 1 Tag an dem ist der

Mund voller schwerer Sterne Sie

purzeln von der Lippe & kollidie-

ren vor der Brust Jetzt ist im Zim-

mer 1 Kugelsternhaufen & erst

nach sieben Milliarden Jahren

erreicht sein Licht dein Troglodyten-

auge

geb. 1982 in Köln ist Politikwissenschaftler und Autor. Er forscht und lehrt zu Demokratie und Populismus und hat Gedichte und Kurzgeschichten in Literaturzeitschriften und Anthologien veröffentlicht.

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Die Linien

Irena Habalik
30. Mai 2023
  • Man sieht es genau; die Linien gehen spazieren
  • auf dem weißausgelegten Feld, noch wird keine Richtung
  • verraten, noch nicht sprüht es Farben, elegante,
  • filigrane Gebilde, Pilger zu den Geheimstätten
  • Tiefspuren hinterlassend. Ein Wink von der Seite,
  • wie die aufgescheuchten Puppen beginnen sie zu laufen,
  • kreuz und quer durch die leichtgewellte Ebene verbiegen
  • sich, verflechten, verknäulen, ein Wirrwarr,
  • man sieht es ungenau, da rechts vom Graziösen
  • nur ein Rest und alles was sich bewegt, das Flache
  • schweben lässt, wird vom Rand zurückgedrängt,
  • an der Grobkante enden. Ob es wohl helfen würde,
  • in die Breitrahmen zu springen? Sich dort zu vervollkommnen.
  • Den Wildlauf könnte man verhindern,
  • wenn man auf sie aufgepasst hätte.
  • Es hieße dann: Wenn die Linien spazieren gehen.
stammt aus Polen, lebt in Wien. Schreibt Lyrik, Kurzprosa, Aphorismen. Publikation von zahlreichen Gedichtbänden, zuletzt «Male dein Schweigen» (Pop Verlag, 2021). Einige Preise, u.a. Theodor-Körner-Preis (Wien 1987).

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Frühling

Luka Peters
26. Mai 2023
  • Fliegen torkeln herein
  • durch’s offene Fenster.
  • Wohnmobile werden geputzt.
  • Motorräder zwitschern ihr Lied
  • von Freiheit und Dreck.
  • Die Mücken tragen ihren ersten
  • Tanzwettbewerb aus.
  • Und du sagst, du liebst mich nicht mehr.
studierte Germanistik und Politikwissenschaft und schreibt Essays, Prosa, Lyrik und Performance Poetry. Veröffentlichungen u.a. in Anthologien und Zeitschriften. Essaypreisträger 2023 Der Bund.

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angeschnitten

Avy Gdańsk
23. Mai 2023
  • ein filetierter nachmittag brutzelt
  • auf den treppen zum fettarmen fluss
  • weitreichende hände streifen die warmen
  • flanken der luft unter durchgebratenen wolken
  • bald kommt sie dort zum erliegen
  • schon verzehren die herbste ihr
  • heißes fleisch mit aufgeplusterten mündern
  • seitdem ist die angst vor den menschen gering
  • die aus lieferbaren zutaten bestehen
  • wie zahnstocher bleiben sie zwischen
  • adventszähnen stecken
  • und hungern aus angereicherten augen
  • wenn die füllung aus dem abend quillt
Avy Gdańsk ist verrückt nach Blässhühnern und Black Metal und lektoriert für den S. Marix Verlag in Wiesbaden. Veröffentlichungen in verschiedenen Zeitschriften und Anthologien, zuletzt in Kassiber und »X – Klimatexte« (vhv verlag). 2020 Hans-Bernhard-Schiff-Preis, 2021 1. Platz bei »Wir sind lesenswert« in Graz.

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Exkurs

Martin Dragosits
28. April 2023
  • Man könnte
  • es kaltes Feuer nennen
  • unbestimmbare Substanz
  • zwischen Sonnenflechtzentrum

  • Augenweiden und gewölbtem
  • Herzsegel

  • eine vorgerückte Ahnung
  • mindestens
  • einen Meter über
  • dem atemlosen Boden

  • Luftpartikel
  • ungeteilte Flächenraster

  • Wortgestöber
  • an den Flanken
  • eine Zehn-Sekunden-Hierarchie
  • mit Fensterglas-Ikonen

  • Lächelrabatt
  • und colorierten Phrasen

  • Man könnte
  • mit empfindlichen Maschinen
  • Vorschlagswerte aufaddieren
  • Formeln nutzen

  • die Zusammensetzung des Lichts
  • an die eigene
  • Vorstellungskraft anpassen
geb 1965 in Wien; zahlreiche Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften und Anthologien. Zuletz: Weiße Kreide (2017). Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung (GAV), des Literaturkreises Podium und des Österreichischen Schriftsteller/innenverbandes.

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faden kreuz weise

Dirk Tilsner
25. April 2023
  • fest im Griff den Zwirn, so weit
  • die linke Hand reicht und im Kopf
  • mein kleiner Minotaurus

  • schnaubt mir nächtens ‘was von
  • der Arena in den Hochetagen, Ruhm
  • und einem Berg aus purem Stolz

  • am Tage packt er mich dann bei den
  • Lippen, im ewigen Kampf des Menschen
  • gegen das Tier in seiner Mitte, stößt

  • mit kompetent versilbten Lanzen auf
  • dem Weg, der durchs Gelaber rinnt
  • durch Dünkelkammern voller Licht

  • der Ausgang ist mir längst gewiss
geb. 1966 in Luckenwalde. Nach dem Abschluss eines Ingenieur-Studiums zog es ihn 1994 nach Lissabon, wo er bis heute mit seiner Familie lebt. Er schreibt vorrangig Lyrik, mit zahlreichen Veröffentlichungen in Anthologien und diversen Literatur-Magazinen.

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Wenn es einmal so weit kommt

Robert Höpfner
21. April 2023
  • Im Frühjahr pilgern die Städter hinaus
  • auf die Dörfer und Fluren, um den
  • heimkehrenden Schwalben zuzujubeln.

  • Zu Sommerbeginn hängt man die Fenster aus,
  • damit die Stubenfliegen über den Tischen
  • ungehindert die Zeit einwickeln können.

  • Nach jedem Regen sperrt man die Straßen
  • den Schnecken zuliebe, die sich auf den Weg
  • gemacht haben auf die andere Seite.

  • An Herbsttagen versammelt man sich
  • unter Bäumen, um den gefallenen Blättern
  • das letzte Geleit zu geben.

  • Am Ende des Winters öffnet man
  • die Kühlhäuser für die Rettung
  • der dahinschmelzenden Schneemänner.

  • Wenn es einmal so weit kommt, wird es
  • nicht mehr nötig sein, Verse zu schreiben -
  • alles wird zu einem Gedicht.
Geb. 1954 in München, Vorstand der Wolfgang-Sawallisch-Stiftung. Schreibt Lyrik, lyrische Prosa und Erzählprosa, bisher acht Buchveröffentlichungen

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