die Liebe in den Zeiten des Spätkapitalismus

29. November 2022

I

  • hast du denn jetzt einen Job?
  • such dir doch bitte endlich einen Job
  • du sollst dir einen Job suchen
  • ja, du
  • dich meine ich
  • wen denn sonst?
  • ohne Job brauchst du jedenfalls erst gar nicht nach Hause zu kommen
  • also such dir endlich einen Job
  • du sollst dir einen Job suchen,
  • habe ich dir gesagt
  • oder hast du schon einen Job?
  • wenn du schon einen Job hast,
  • dann brauchst du dir natürlich keinen Job zu suchen
  • aber wenn du noch keinen Job hast,
  • dann such dir bitte endlich einen
  • ohne Job brauchst du jedenfalls erst gar nicht nach Hause zu kommen
  • hörst du?
  • komm ja nicht ohne Job nach Hause
  • du sollst dir einen Job suchen,
  • habe ich dir gesagt
  • wenn du keinen Job hast,
  • brauchst du erst gar nicht nach Hause zu kommen
  • hörst du?
  • komm ja nicht ohne Job nach Hause
  • sonst muss ich die Sache mit uns leider beenden
  • also überleg dir bitte genau,
  • was du als nächstes tust
  • aber ohne Job läuft zwischen uns bald schon gar nichts mehr
  • also such dir endlich einen Job
  • du sollst dir einen Job suchen,
  • habe ich dir gesagt
  • oder hast du schon einen Job?

II oder: ich liebe dich

  • ich liebe dich
  • aber warum liebe ich dich?
  • warum liebe ich nicht jemand anderes?
  • und warum liebe ich überhaupt?
  • warum hasse ich nicht?
  • und warum hasse ich nicht dich?
  • warum liebe ich dich?
  • und warum liebst du mich nicht?
  • warum wirst du von mir geliebt?
  • und warum liebt dich nicht jemand anderes?
  • warum lässt du dich von mir lieben?
  • und warum tust du nichts dagegen?
  • warum hasst du mich nicht?
  • und warum hasst du generell niemanden?
  • warum liebe ich dich?
  • und warum liebe ich mich nicht?
  • ich liebe dich
  • aber warum liebe ich dich?

III oder: letzte Erledigungen vor dem Untergang

  • im Garten arbeiten
  • online sein
  • shoppen
  • vor dem Fernseher sitzen
  • Rätsel lösen
  • Bücher lesen
  • essen gehen
  • Computerspiele spielen
  • Musik hören
  • heimwerken
  • ins Fitnessstudio gehen
  • Filme schauen
  • wandern gehen
  • joggen
  • Gesellschaftsspiele spielen
  • in die Sauna gehen
  • basteln oder töpfern
  • Clubs besuchen
  • schwimmen gehen
  • Mountainbike fahren
  • Fußball spielen
  • Yoga machen
  • Rennrad fahren
  • campen
  • Tennis spielen
  • Freizeitparks besuchen
  • Fotos und Videos machen
  • reiten
  • Roller- oder Inlineskates fahren
  • auf Skiern unterwegs sein
  • angeln gehen
  • bergsteigen
  • schreiben
  • spazieren gehen
geb. 1978 in Berlin (Ost). Ausgebildeter Gebäudereiniger und Verlagskaufmann. Arbeitete u. a. als Fensterputzer, Lektor, Kirchwart, Gärtner, Empfangskraft und Lagerarbeiter. Recherchestipendium des Berliner Senats 2021. Zuletzt: Artaud ist tot (2022, XS-Verlag). Lebt in Berlin(-Friedrichshain).

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Florentino & Fermina

Clemens Schittko stellt die Liebe in den Mittelpunkt seines Texts. Nicht aber ohne ironischen Unterton, der gut zur zeitlichen Einreihung in den Spätkapitalismus passt. In der unverkennbaren Art seiner Gedichte, lässt Schittko danach ein Paar, oder genauer einen Teil eines Paares, nach dem Job des Anderen fragen. Nur der Job, so scheint es, macht den anderen zu einem zuverlässigen Teil der Partnerschaft, der nicht sofort verlassen werden muss. Augenfällig, dass das Wort «Liebe» in diesem Monolog kein einziges Mal fällt. Insofern erstaunt es nicht, wird die Liebe im zweiten Teil des Texts in all ihren Facetten hinterfragt. Es wird aber nicht klar, wer genau hier – auch wieder in Monologform – nach der Liebe fragt, der vorhin stille Teil, oder der nachfragende Teil. Es ist auch gar nicht so wichtig, wer nun nach Job oder Liebe fragt, stellen die Fragen doch nur die offensichtliche Position der Liebe in den Mittelpunkt. Liebe allein reicht im ersten Teil nicht mehr für eine Paarbeziehung und im zweiten Teil wird die Liebenswürdigkeit der befragten Person komplett infrage gestellt. Liebe als gerichtetes, personales Gefühl wird damit komplett untergraben. Es erscheint fast zynisch, dass die aufgeführten Tätigkeiten für den Untergang im dritten Teil alle gemeinsam gemacht werden können, aber nur in Einzelfällen gemeinsam gemacht werden müssen. Es ist nur passend, wirkt die Liste in ihrer Aneinanderreihung beliebig. Der Zynismus des Spätkapitalismus für zwischenmenschliche Sentimentalitäten wird damit genauso ausgedrückt (und ironisiert), wie die Liebe des Internets für Listen, egal, welche Wahllosigkeit sich dahinter verbirgt. Oder wie viele lieblos zusammengestellte Listen mit Weihnachtsgeschenksideen sind Ihnen in den vergangenen Tagen und Wochen begegnet? Was «die Liebe in den Zeiten des Spätkapitalismus» nun genau ausmacht, bleibt uns das Gedicht von Clemens Schittko schuldig. Also müssen wir uns die Frage selbst stellen: Was heisst es denn für uns, zu lieben, geliebt zu werden in den Zeiten des Spätkapitalismus?

Nick Lüthi

Schreibt und spricht über Bücher aus unabhängigen Verlagen für diverse Medien. Veröffentlichung von Gedichten in diversen Literaturzeitschriften.

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